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LICHTENFELS

Wort zur Besinnung: eine Urlaubs- und Lebenslektion

Wort zur Besinnung; eine Urlaubs- und Lebenslektion
Matthias Hagen Foto: Hagen

Binz, Ostsee, Fußgängerzone. Gutgelaunt, urlaubsgestimmt, cappuciogenießend sitze ich in einem Café auf der Promenade, schaue einfach mal hier- oder dorthin.

Da nähert sie sich plötzlich, eine wahrlich auffällige, ältere Frau, Modell „Grand Dame“ ,und weckt sicher nicht nur meine Aufmerksamkeit: Geschmackvolles, langes Sommerkleid mit buntem Blumenmuster, natürlich passende Pumps an den Füßen, die ihr sicherlich das Gehen erschweren, um Hals, an Armen, Händen und Ohren auffallender Schmuck, eine wohl sehr wertige Handtasche am Unterarm (auf den Punkt gebracht würde man bei uns sagen: gscheid aufgebrezelt!).

Sie erscheint mit ihrem gepflegten Äußeren, das kultiviertes Benehmen und gewisse Bildung vermuten lässt wie ein Gesamtkunstwerk. Freilich, und das darf nicht verschwiegen werden, ist dieses auch korpulent und stark adipös (um es medizinisch wertfrei zu sagen).

Zielstrebig steuert sie, zuerst etwas unruhig schauend, dann zufrieden lächelnd den Tisch neben uns an, der gerade frei geworden ist. Sie streicht das Tischtuch etwas gerade, wobei immer ein leises Klimpern ihres Geschmeides zu hören ist. Die Bedienung bringt die Karte, sie setzt ihre Brille mit Goldrand und Brillenkette auf und beginnt zu blättern. Sie tut das ein-, zwei-, dreimal, dann nimmt der freundliche junge Mann die Bestellung auf.

Was wird sie wohl bestellt haben? Ein gemischtes Eis (mit/ohne Sahne), eine als Spezialität angepriesene Waffel mit Heidelbeeren, Eis und Sahne, einen Capuccino und/oder ein Wasser angesichts ihres höchstwahrscheinlich diabetologischen Befunds, ihres hohen Blutdrucks oder/und der Knie- und Hüftbeschwerden? Auf jeden Fall schaut sie fröhlich und irgendwie erwartungsfroh.

Ja, was kam denn nun? Ich mach es kurz: Der größte Eis-, Früchte-, Sahnebecher, den ich jemals gesehen habe. Und dann beginnt sie zu essen – nein! - sie feiert den kredenzten Pokal und jeder Löffel zum Mund erscheint wie eine heilige Handlung, so wie ich es noch nie gesehen habe. Ich denke: „Was macht die denn da!“- „Das darf sie doch nicht!“- „Wie verantwortungslos, wenn man so übergewichtig ist!“ oder: „Hah - das hab ich mir gleich gedacht!“

Aber ich musste immer wieder heimlich hinschauen, bis sie den Becher wirklich ausgekratzt hatte und sich mir ihr Gesicht bis heute eingeprägt hat als Ausdruck von purer Sinnenfreude, Lebensgenuss, Lebenslust und Lebensfreude. Momentaufnahme, Leben im Augenblick, ohne Fremd- und ohne Selbstkontrolle, loslassend sich selbst und das, was andere für mich richtig und angemessen finden, dem Über-Ich ins Gesicht lachend oder in den Hintern tretend.

Freilich an Feier- und fast grenzenloser Genuss- und Konsumbereitschaft fehlt es uns nicht - und Hand aufs Herz, die Fürsorge und Achtsamkeit für unseren Gesundheitszustand (vor allem auch unserer Kinder) ist in unseren Breitengraden durchaus entwicklungsfähig, eine Veränderung unserer Essgewohnheiten auch angesichts von herrschender Ungerechtigkeit und lebensbedrohlichem Klimawandel dringend erforderlich.

Erstaunliches – Genussfreundliches und Bedenkenswertes dazu findet sich tatsächlich in der Bibel. Ob in Jesu Worten vom Sorgen (Mt. 6, 25-34) oder als ein kurzes und klares Urlaubsmantra aus dem Buch Jesus Sirach zum Mitnehmen dorthin: „Versag' dir nicht das Glück des heutigen Tages; an der Lust, die dir zusteht, geh' nicht vorbei!“

Darin steckt: Dieser Tag heute und viele andere danach hält eine Portion Glück und Lust für Dich bereit. Das ist einfach so. Davon kannst Du ausgehen.

Ich höre aber auch: Gönn' dir dieses Glück! Ja such' es! Sei aufmerksam, damit du es nicht verpasst. Du brauchst es dir nicht zu versagen. Genieße das Glück, die Lust, das Leben, das dir heute geschenkt wird aus vollen Zügen, auch einmal ungezügelt, spontan, über die Bresche schlagend und unvernünftig! Aber wisse dabei: Glück heißt auch, den richtigen Augenblick zu kennen, wann genug genug ist, Mäßigung, Normalität, Verzicht und Verantwortung für Dich, für andere, für Welt angesagt ist.

Aber jetzt erst einmal los, auf Reisen oder einfach nach Baggersee und Balkonien. In diesem Sinn bleiben Sie behütet, genießen Sie und bleiben sie gesund um Gottes Willen.

Matthias Hagen,

evangelischer Pfarrer i.R.,

Bad Staffelstein

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