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LICHTENFELS

Wildtiere im Lichtenfelser Tierheim: Zurück in die Freiheit

Wildtiere im Lichtenfelser Tierheim: Zurück in die Freiheit
Um die Abnabelung zu erleichtern, werden für entsprechend auszuwildernde Tiere auch größere und entlegenere Gehege gewählt. Foto: Markus Häggberg

Namen für Wildtiere? Nein, die vergibt Sandra Schunk nicht. Dahinter steckt kein Mangel an Empathie, sondern Selbstschutz. Die Frau, die im Tierheim auch für Wildtieraufzucht zuständig ist, muss sich selbst schützen, denn Namen bedeuten Bindung. Doch um was es ihr geht, ist, dass die Marder, Dachse, Eichhörnchen oder Füchse ihre Bindungen abbrechen und eigene Wege gehen. Zurück zur Natur und in den Wald.

Es ist ein bewölkter Vormittag, als Sandra Schunk die Tür zum Gelände des Lichtenfelser Tierheims öffnet. Seit fünf Jahren hat die Leiterin hier Schlüsselgewalt und so geht sie durch die Gänge, auf deren Wände ein Vorgänger in Kreidetechnik Fresken hinterlassen hat. Ein bisschen labyrinthisch wirken diese Gänge, doch dann gelangt man in eine Art Küche.

Zwei Mitarbeiter sind hier dabei, für ein tierisches Mittagessen zu sorgen, indem sie schon mal tiefgefrorene Mäuse auftauen. Schunk hält sich an diesem Bild nicht weiter auf, sie kennt es seit bald 18 Jahren. So lange ist sie in Tierheimen tätig, wobei 13 Jahre auf eines in Coburg entfallen. Jetzt tritt sie durch eine Tür und hier ist Endstation, hier wird die Unterhaltung stattfinden.

Mit einem Marder in einer Gitterbox hinter ihr und einem Eichhörnchen in eben einer solchen rechts von ihr. Behutsam nimmt die Frau das kleine Fellknäuel aus der Box, während sie eine aufgezogene Spritze parat hat. Doch keine Nadel findet sich an ihrem Ende, sondern ein Röhrenstäbchen aus biegsamem Gummi. Und in der Spritze ist auch kein Serum, sondern Fruchtbrei.

Wildtiere im Lichtenfelser Tierheim: Zurück in die Freiheit
Bis zu seiner Selbständigkeit ist das Marderweibchen bei Sandra Schunk in guten Händen. Foto: Markus Häggberg

Eichhörnchen ohne Namen

Es ist 10.29 Uhr – und das Eichhörnchen ohne Namen bekommt sein Frühstück. Gierig nimmt es an, hält seine Augen vor Begeisterung offen, greift mit seinen kleinen Ärmchen und Beinchen aus, und gibt sich hin. Doch Vorsicht ist geboten, denn wenn Milch in die Lunge gerät, droht eine Lungenentzündung. Eine solche überwinden sie meist nicht. Sandra Schunk denkt an ihr erstes Mal einer Wildtieraufzucht zurück.

„Es war bestimmt ein Eichhörnchen, nehme ich an. Ich ärgere mich heute noch, dass ich nie eine Strichliste geführt habe“, sagt sie zu dem Wie und Wieviel ihres Tuns. Damals lebte sie im Coburger Land und waldnah, das brachte es mit sich. Doch warum geraten Tiere eigentlich in Aufzuchtstationen?

Es gibt Unfälle, es gibt das Verstoßen werden, und es gibt sonstige Umstände - die Natur kann grausam sein. So kann ein Gewitter einen Kobel, so nennt man das Nest eines Eichhörnchens, beschädigen. Auch wenn ein Dachsbau Schaden genommen hat, könnte es sein, dass dadurch das Muttertier verscheucht wurde.

Schunk erinnert sich an einen lange zurückliegenden kuriosen Fall. Im Zuge von Arbeiten an Straßengräben wurden Rohre ausgespült. So wurden sechs Fuchswelpen aus dem gespült, was sie für ihren Fuchsbau hielten. Somit landeten sie in Schunks Fürsorge.

Wildtiere im Lichtenfelser Tierheim: Zurück in die Freiheit
Eiskalt serviert werden die toten Mäuse nicht. Erst werden sie aufgetaut, dann serviert. Foto: Markus Häggberg

Auch Rehe habe Schunk schon aufgezogen, wenngleich nicht in Lichtenfels. Für Rehkitze habe sie sogar eine besondere Schwäche, denn da sei sie „schockverliebt“. Doch wie die Frau davon erzählt, verdunkelt sich ihr Gesicht ein wenig, was mit den Schattenseiten all dieser Dinge zusammenhängt.

Es kämen Leute euphorisiert, weil sie sagen: „Ich habe ein Kitz gefunden.“ Diese Leute hätten das Kitz nicht anfassen und mitnehmen dürfen, denn die Ricke wäre schon noch gekommen. „Besser ist es, das Kitz mit Gras abzureiben und liegenzulassen.„ Wie Schunk sich an diesen Vorfall erinnert, erwähnt sie auch die Kehrseite der Medaille, die darin besteht, dass eine Ricke Milch trägt, die sie ohne ihre Kitze ja auch nicht loswird. Was dem Muttertier dann droht, sind Entzündungen.

Viel Unwissen über Wildtiere

Es gibt dazu nach Schunk überhaupt sehr viel Unwissen in weiten Teilen der Bevölkerung. Auch wenn Hundehalter ein junges Reh mitnehmen, dann kann das problematisch sein, weil die Rehe dann fehlgeprägt werden können. Man stelle sich nur vor, wie das Reh nach seiner Auswilderung vor lauter fehlender Scheu wieder auf einen im Wald von der Leine gelassenen Hund zugeht. „Das wäre dann vielleicht auch sein Todesurteil“, befindet Schunk und reicht noch eine Bitte nach: „Zwischen April und Juni sollten Hundehalter in Wald und Wiese auch wegen der Heckenbrüter ihre Hunde an die Leine nehmen.“ Wie sie von alledem erzählt, ist ihr Eichhörnchen nun mit seinem Fruchtbrei fertig. Es ist 10.36 Uhr.

Sachkundigkeit bei Mitarbeitern. Das ist es, was ein Tierheim braucht, wenn es wilde Tiere aufziehen will. Vor allem auch eine Bereitschaft, den Job 24 Stunden am Tag zu machen.

Der Grund: „Wenn Tiere klein sind, brauchen die oft noch alle zwei Stunden ihre Flasche. Lernwille ist auch ein Punkt von Wichtigkeit. Es gibt Möglichkeiten, sich einzulesen und regelmäßig fortzubilden. Wesentlich ist zum Zwecke des Erfahrungsaustauschs auch die Vernetztheit von Tierheimen untereinander. Zwei Sachen, die unabdingbar für Aufzucht sind, nennt Schunk außerdem: Aufzuchtmilch der Marke Royal Canin und Wärmematten. Zu Ersterem wären Spenden erwünscht und Letztere halten Kälte von unten ab. Von Rotlicht hält Schunk weniger, trocknet dieses doch Tierhaut aus und tauge für Tierbabys schon mal gar nicht. Besagte Milch hingegen ist nahrhaft und tauge für Füchse, Hasen, Marder, Katzen oder Hunde.

Nun ist auch die Essenszeit für den Marder gekommen. Auch er kann ein gieriger Trinker sein und bisweilen dumpf und stechend riechen. Es gibt Whiskysorten, die einem dazu einfallen. Es gibt verschiedene Auswilderstellen, die aber alle geheim sind, führt die Tierheimleiterin jetzt aus. Die entsprechenden Jagdpächter wissen von ihnen und es wird landkreisübergreifend ausgewildert.

Massage für das Bäuchlein

Während Schunk das Bäuchlein massiert, um die Verdauung anzuregen, erwähnt sie Pflichten. Wer nämlich aus dem Wald ein noch so schutzloses Tier mitnimmt, habe das dem entsprechenden Jagdpächter mitzuteilen. Und wieder fällt Schunk etwas ein, das sogar anekdotischen Charakter besitzt: „Es gab Leute, die brachten Fuchs mit (Hunde-)Geschirr – da bin ich vom Glauben abgefallen.“

Wildtiere im Lichtenfelser Tierheim: Zurück in die Freiheit
Sandra Schunk verzichtet aus Selbstschutz darauf, ihren Tieren Namen zu geben. Denn irgendwann muss sie diese auch ziehen lassen und Abschiedsschmerz gibt es sehr wohl. Foto: Markus Häggberg

Aber das waren Leute, die zuerst glaubten, Füchse in der Wohnung aufziehen zu können, bis diese ihnen über den Kopf wuchsen. Aber irgendwann, nach all der Pflege, muss das Abnabeln und Scheuwerden in Angriff genommen werden. „Wenn sie alleine fressen können, kommen sie in eine größere Voliere, und ich breche den Kontakt ziemlich ab“, sagt Schunk mit etwas traurigem Blick. Dieses Kontaktabbrechen verlangt auch ihr etwas ab, vor allem auch, weil es mit dem Ende von Körperkontakt einhergeht. Was sie sagt, bezieht sich auf die beiden kleinen Füchse, die im Außenbereich des Tierheims ausgerechnet in der Nachbarvoliere zu den Hühnern und klassischen Beutetieren größer geworden sind. Spätestens nach ihrem nächsten Satz weiß man, weshalb sie ihren Tieren keinen Namen geben mag: „Wenn ich sie selber auswildern muss, dann werde ich sie nicht mehr beachten – die wollen aber kuscheln. Da bricht mir das Herz.“

Für Spenden an das Tierheim: Sparkasse Coburg-Lichtenfels, IBAN: DE 20 7835 0000 0092 5019 15; BIC: BYLADEM 1COB.

 

Von Markus Häggberg

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