Wenn Romantik auf Noten und Fingerfertigkeit trifft, könnte ein Klavier im Spiel sein. Im Falle des jüngsten Sonntags war dem so. In der Reihe „Weltklassik am Klavier“ sollte die rumänische Ausnahmekönnerin Luiza Borac in der ehemaligen Synagoge vor allem für die Bespielung eines Themas sorgen: Wanderschaft und Fantasie.
Was man sich als Laie sonst nie fragt: Wie vermag der Pianist eigentlich so unglaublich genau mit jenem Druck zu eröffnen, damit er die vom Stück verlangten Steigerungen und Läufe auch in entsprechenden Abstufungen bewältigt? Es sind weniger die Fragen, die staunen lassen, sondern die Antworten, die die Weltklassepianisten zu geben vermögen.
Luiza Borac gehört zu diesem Kreis und wie präsent ihr Können schon bei der Bewältigung des ersten Satzes (Allegro con fuoco) von Franz Schuberts Wanderer-Fantasie C-Dur, Opus 15 war, verblüffte die rund 40 Besucher absolut. Doch Roberto Bauer, Conferencier des Abends, kündigte es bei seiner Begrüßung ja im Grunde schon an und zitierte eine Fachzeitschrift, die die Rumänin in ihrer Spielweise klar umriss: „Von einem Traum bis zu einem Genie.“ Die Frau ist Gewinnerin von rund 30 internationalen Musikwettbewerben und hat promoviert. Zum Werk ihres Landsmanns George Enescu (1881-1955) und mit „summa cum laude“. Nur der sollte an dem Abend keine Rolle spielen, ging es doch um Franz Schubert, Edward Grieg und Franz Liszt. Kurzum: Romantiker.
Ort des Rückzugs, der Heilung und Inspiration
Und die Romantiker hatten einen eigenen Bezug zur Natur. Für sie war sie der Ort des Rückzugs, der Heilung und Inspiration. Diesen Bezug hatte aber wohl auch eine Person, die zu sichtlichem Bedauern Boracs selten gespielt wird, obgleich ihrer Einschätzung nach „genial veranlagt“: Fanny Hensel (1805-1847). Die Frau war die ältere Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy, war Pianistin, Dirigentin und Konzertorganisatorin. Vor allem aber auch Komponistin und als solche hinterließ sie u.a. „Lieder ohne Worte“.
Aus diesem Zykluns nahm sich Borac u.a. des Larghettos an; ein singend-beredtes Charakterstück, welches dazu beitrug, sie gewissermaßen zur Erfinderung der Gattung „Lied ohne Worte“ zu machen, eine Bezeichnung, die Fanny Hensel selbst kaum verwandte.
Der Applaus war viel mehr als nur Höflichkeit
Dem führenden Komponisten der Romantik, Edward Grieg, wandte sich Borac auch zu. In sechs lyrischen Stücken zwischen Notturno und Zug der Zwerge griff sie auf und formulierte das, was Griegs Musik hier auszeichnete: eine oft volkstümliche Note, melancholisch gestimmt, mit nordischen Elementen in Schwermut, mit häufigen Wechseln von simpel klingenden Weisen hinüber zu Anklängen des frühen Impressionismus. Das Publikum in der ehemaligen Synagoge war begeistert und in seinem Applaus lag mehr als Höflichkeit, es war das Gewahrsein eines vorzüglichen Konzerts durch eine große Künstlerin. Denn was es neben all der Lyrik und Stille auch zu hören bekam, war das Aufbrausen, das Aufwallen, das Anschwellen und Anbrausen von Noten, die in ihrer Gewalt aufs Präziseste dargeboten wurden.
Von Markus Häggberg