Alles ist bereit. Kleideretikette passt: schwarzer Jogginganzug mit einem verwegenen Paar Filzlatschen in Grau. Natürlich bin ich unrasiert. So sieht stilechtes Homeoffice aus. So warte ich, dass sich die Bühne öffnet für einen Blick auf die Folgen der Pandemie. Denn unsere Redaktionskonferenz ist wie ein Blick durch das Brennglas.
Nach gut einem Jahr Corona sind wir professionelle Konfi-Player geworden. Das war bei den ersten Telefonkonferenzen noch etwas anders. Falsche Einwahlnummern, Rückkoppelungen und knarzende Handys aus ländlicher Idylle.
Fast schon nostalgische Erinnerungen
Fast schon nostalgische Erinnerungen. Jetzt klappt es reibungslos mit unserer Digitalplattform, die die eiserne Wacht in der Redaktion mit den Homeoffice-Kollegen verbindet. Na ja, fast. Gestern hatte ich vergessen, die Konferenz zu beenden. Die Sache lief also immer weiter. Mit Mikro und Kamera. „Ja, der Herr Mayer und der Datenschutz“, feixt Kollege Markus Drossel gleich zu Beginn der Konferenz. Mein Konter verläuft im Nirwana. Mikro noch nicht an.
Aber derweil sind die beiden aktiven Väter schon in der Problem-Analyse in Eigen-Perspektive. Bei dem home-schulenden Nachwuchs bricht nämlich in aller Regelmäßigkeit Mebis zusammen. Das ist die digitale Lernplattform. So erfahre ich. Zweifach-Papa Guido Geelen beruhigt aber, dass seine Kids über die gut funktionierende Plattform „MS Teams“ unterrichtet werden. „Big Blue Button“, genutzt von der Schule seiner Tochter, stürze dagegen immer ab, klagt Papa-Kollege Markus Drossel. Verabschiedet sich plötzlich kurzerhand, um zu sehen, was seine kleineren Sprösslinge gerade treiben. Laut Hintergrund-Geräuschen einiges. Drossel ist weg. Dafür guckt gerade der Sohn von Kollege Geelen kurz in die Kamera.
Die nächste Tagesordnung, ein unerfreulicher Evergreen bei unserer Konferenz. Die Corona-Ampel samt Tagesstatistik mit Infizierten-Index und – leider viel zu oft – neuen Toten. Im Internet gibt es über das RKI am frühen Morgen Zahlen für die Nachbarlandkreise. Die Coburger bekommen langsam die Lage wieder in den Griff, sehen wir. Vom Landratsamt Lichtenfels kommen bis zum Mittag dann die aktuellsten Statistiken vom Obermain. Manchmal ist aber auch bei den Kollegen der Pressestelle Land unter. Und Nachmeldungen nach Feiertagen machen die Sache nicht gerade unkompliziert. Kurz, die Corona-Meldungen zählen nicht zu den begehrten Lieblingsaufgaben im Team.
Heute ein heißes Thema: Tags zuvor wurde unserer Redaktion ein Video zugeschickt. Es war meine Aufgabe, dem nachzugehen. Angeblich, so der Absender, sollte das Filmchen gerade erst von einer Mitarbeiterin einer Altenpflege-Einrichtung im Landkreis heimlich aufgenommen worden sein. Zu sehen gibt es einen heimischen Barden, der vor einigen Senioren fröhlich singt und musiziert. Ohne Maske, ohne ausreichend Abstand, und außerdem herrscht eh Veranstaltungsverbot in den Heimen. Ein Skandal? Zweifel sind da. Es lässt sich nicht verifizieren, von wann das Video stammt. Dann kommt der Faktencheck. Der Musiker fällt bei der Nachfrage aus allen Wolken: „Nein, natürlich bin ich jetzt nicht aufgetreten.“ Weitere Anrufe folgen. Kein Hinweis, dass das Filmchen aktuell sein könnte. Eine Nachfrage bei dem „Informanten“ wird beantwortet, dann löscht er seine Mail-Adresse.
Zeigen, was nicht rund läuft
„Traurig, so etwas“, sagt Kollegin Annette Körber Kopf schüttelnd. „Gut, dass nichts dahinter steckt“, sagt Redaktionsleiter Geelen. Die Intention des Video-Absenders? Da können wir nur raten. Die Hoffnung, dass wir uns als Denunzianten eines vermeintlichen Verstoßes gegen eine Hygienevorschrift aufspielen, das könnte möglich sein. Oder der Altenpflege-Einrichtung eines auszuwischen.
Der Umgang mit dem Virus spaltet auch unsere Leserschaft. Immer wieder wird uns vorgeworfen, „Systemmedien“ zu sein. Aber zum Glück kommt das nur von einer Minderheit. Denn wir berichten natürlich auch, wo es nicht rund läuft. Von den Hilfen, die immer noch nicht bei Gastro und Handel angekommen sind. Auch Friseure trifft es hart. Von der Angst um den Arbeitsplatz. All das steht im Blatt, genauso wie sich unsere heimischen Vereine mit viel Kreativität bemühen, ihr Vereinsleben aufrecht zu erhalten. Oder die Kita-Leiterin, die sich durch einen Vorschriften-Dickicht ihren Weg bahnt.
Gefahren nicht einfach ignorieren
„Aber es bringt nichts, wenn wir die Gefährdung durch das Virus ignorieren“, meint Kollege Gerd Herrmann. Die Folgen der Pandemie treffen jeden. Wir und unsere Familien sind alle gesund. Das ist etwas, für das jeder in der Redaktion dankbar ist.
Die Aufgaben werden für den Tag verteilt. Die Kollegen verlassen die Konferenz, und ich sitze in der stillen Küche, meinem Homeoffice-Platz. Eine Pandemie als Single zu erleben ist auch nicht so super spaßig. Wenigstens schaut heute Abend mein Nachbar auf ein Bier vorbei. Auch er ein Homeoffice-Arbeiter. Meistens trägt er einen schwarzen Trainingsanzug. Aber dass wir mal Büro an Büro arbeiten, wer hätte das gedacht.
Von Till Mayer