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LICHTENFELS

Temperamentswechsel und Ungestümtheiten

Gastgeber Roberto Bauer war sichtlich angetan von dem Können der mitunter schüchtern wirkenden Pianistin Lal Karaalioglu. Foto: Markus Häggberg

Könnte es einen weiblichen Beethoven gegeben haben? Haben auch die Türken Komponisten klassischer Prägung? Und wird Lal Karaalioglu dereinst im Rang einer Hélène Grimaud stehen? Fragen über Fragen, mit denen das Publikum am Sonntagabend nach Konzertschluss aus der ehemaligen Synagoge trat. Weil es im Rahmen der Klavierkonzerte von „Weltklassik“ etwas erlebte und reiche Anregungen erhielt.

Lal Karaalioglu hat schon etwas geleistet. Die 25-jährige Istanbulerin wurde 2019 mit dem zweiten Preis bei der renommierten „Orbetello Junior Piano Competition“ und dem dritten Preis bei der noch bekannteren „Cesar Franck International Piano Competition“ ausgezeichnet.

Liest man in ihrer Biografie weiter, stößt man auf weitere Auszeichnungen und erste Preise. Mit all dem im Hintergrund saß Karaalioglu am Flügel im einstigen Gotteshaus, sich vor jedem neuen Stück sammelnd und kurz die Augen schließend.

Wechsel zwischen geistlicher Getragenheit und Ausbrüchen

Dann eröffnete sie mit einem Allegro einer Frau, von der es heißt, sie sei ein weiblicher Beethoven gewesen: Emilie Mayer (1812-1883). Und tatsächlich wirkte ihre Sonate in d-Moll nach all den Beethoven'schen Temperamentswechseln und klugen Ungestümtheiten. Tatsächlich finden sich auch in Mayers Werk Wechsel zwischen geistlicher Getragenheit und Ausbrüchen, die unter den Händen der Mittzwanzigerin in eine Form gebracht wurde, die zwischen Strenge und Ausgelassenheit lavierte, dies aber immer mit einer Handschrift, zu der zu vermuten steht, dass sie Erkennungsmerkmal der Künstlerin werden könnte. Doch in die Stille nach Verklingen des letzten Tons von Mayers viertem Satz „Allegro animato“ fiel ein leiser Satz aus dem Publikum, der entweder Vorfreude oder Ungeduld ausgedrückt haben mochte: „Jetzt kommt der echte Beethoven.“

Gastgeber Roberto Bauer mit der Pianistin Lal Karaalioglu. Foto: Markus Häggberg

Auch den „echten“ Beethoven samt dessen Fantasie g-Moll, Opus 77 bemeisterte die Pianistin erstaunlich. Phasenweise arbeitete Karaalioglu aus ihr so etwas wie beschwingte Modernität heraus, ansonsten folgte sie Beethovens Spiel mit dem Gemüt des Zuhörers. Der bekam es immer wieder mit Läufen zu tun, die so klangen, als ob sie erst Hoffnungen entstehen ließen, um sie im Nachhinein abzuwürgen.

Ein, vielleicht der Höhepunkt des Abends, war Karaalioglus Interpretation von Clara Schumanns (1819-1896) Variation für Klavier über ein Thema von Robert Schumann in f-Moll. Denn in diesem Werk ist ein melodisches Thema versteckt, welches so schön wie subtil ist und von der Künstlerin in einer Bandbreite zwischen Strenge und Expressivität variiert wurde.

Vermählung zwischen Okzident und Orient.

Am Ende war der jungen Frau, die eiligst zum Zug musste, ein großer Applaus sicher. Aber dann überraschte sie mit einer Zugabe ihres Landsmannes Fazil Say (*1970). Aus diesem Komponisten sprach so etwas wie die Vermählung zwischen Okzident und Orient. Eine Anregung mehr an diesem Abend.

 

Von Markus Häggberg

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