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LICHTENFELS

Anne Lehe: Schreiben kann süchtig machen

Hier an ihrem Schreibtisch in ihrem Zimmer verbrachte Anne Lehe Monate dabei, ihre Figuren kennenzulernen und einen Roman zu schaffen. Foto: Markus Häggberg

Anne Lehe hat es getan. Konsequent und unter der Dachschräge. Die 15-jährige Realschülerin ist jetzt Buchautorin. Am 9. November erscheint im Selbstverlag ihr Roman „Der Krieg wohnt nebenan“. Es ist das Ergebnis einer sechsmonatigen Arbeit.

Sie sei über Nacht und am 23. März gekommen – diese Idee zum Plot, zur Handlung, zu dem, worum es auf den mehreren hundert Seiten geht. Es könnte, so vermutet die 15-Jährige stark, durchaus damit zu tun haben, dass sie sich schon länger unterbewusst gefragt hatte, was sie denn schreiben soll. Irgendwie habe ihr Unterbewusstsein dann etwas ohne ihr Wissen geformt und diesen Heureka-Moment besorgt.

„Am 24. März habe ich die Grundidee dann aufgeschrieben“, so die Jugendliche. Sie sitzt an einem Tisch zwischen Küche und Wohnzimmer, trägt zurückgebundene Haare, eine dunkle Hose, einen dunklen Pulli und mit einem Pullunder etwas, das schon ganz nach Utensil eines Schriftstellers anmutet.

Wie man so am Tisch sitzt, schaltet sich auch ihre Mutter ein. Sie trägt eine Erinnerung an ihre Tochter in sich und die rührt aus der Zeit der 2. Klasse. „Da hat sie damit begonnen, die vier Jahreszeiten zu beschreiben“, so Mutter, und auf Nachfrage bestätigt Tochter Anne, dass es ihr mehr noch um die Erfassung der Charaktere dieser vier Jahreszeiten gegangen sei.

Anne Lehes Roman wird am 9. November veröffentlicht. Foto: Markus Häggberg

Jetzt, sieben Jahre später, liegt ein Buch vor ihr auf dem Tisch, das zwei Artilleristen der Wehrmacht an einem Waldstück zeigt. Die Geschichte, die ihr das Unterbewusstsein geschenkt hat und die sie bis zum 6. September verdichtete, umspannt den Zeitraum von 1929 bis zu den jungen Jahren der Bundesrepublik.

Es geht um die große Liebe in der Zeit des „Dritten Reichs“

Die Hauptpersonen heißen Erich Fischer, Ilse Gruber und Karl Steinbach. Sie sind in die Wirren des Lebens und des Zweiten Weltkriegs gestellt, es geht um eine große Liebe, familiäre Verquickungen und das „Dritte Reich“. Damit ist ein Stichwort gefallen, und es führt auch in die oberen Räumlichkeiten und das Zimmer von Anne Lehe. Das Zimmer mit der Dachschräge.

Es ist vielsagend hier oben. Und es bietet ungewöhnliche Ansichten. Denn auf wen man hier in Annes Zimmer immer wieder stößt, ist Max Raabe, jener bekannte Interpret von Liedern aus den „Zwanzigern“. Die 15-Jährige hat sich auch in ihrem Musikgeschmack in vergangener Zeit eingerichtet.

Geht man die Regalreihen ihres Bücherschranks entlang, findet man noch mehr aus vergangener Zeit, vor allem aber Recherchematerial: eine Menge historischer Fachzeitschriften, mehrere Hitler-Biografien, die Geschichte der Gestapo und vor allem auch die der NSDAP in zwei Bänden.

Anne Lehe lernte zu recherchieren und nahm es damit genau. Die Notizen sind Belege für ernsthafte Arbeit. Foto: Markus Häggberg

Spätestens an diesen beiden Büchern wird deutlich, was Schriftstellerei auch bedeutet und wie ernsthaft Anne Lehe gearbeitet hat. Es geht um Recherchearbeit, und in den beiden Bänden finden sich dutzende Vermerke und Notizzettel in unterschiedlichen Farben. Es finden sich noch mehr Recherchen auf Blöcken und auf ihrem Handy.

Viel Wissenswertes über ein Panzerregiment recherchiert

So recherchierte sie, dass das 6. Panzerregiment, in welchem ihre Figur Erich Fischer diente, im Juni 1940 im französischen Dury stationiert war und ein Jahr später zum „Unternehmen Barbarossa“ – dem Überfall von Hitler-Deutschland auf die Sowjetunion – hinzugezogen wurde. Doch woher rührt ihr Interesse an Geschichte und insbesondere am „Dritten Reich“?

„Das frage ich mich auch“, erwidert Anne und stellt nun ihrerseits Fragen: „Wie hat Deutschland damals ausgesehen?“ Und: „Ob man aus Kriegen lernen könnte?“

„Von der Schule heim, Mittagessen, Hausaufgaben, bei meinem Hund sein und dann geschrieben, wenn ich nicht viel zu lernen hatte“, so beschreibt Anne einen damals gängigen Tagesablauf. Geschrieben hat sie unter der Dachschräge an ihrem Schreibtisch, immer umgeben von griffbereit liegenden Nachschlagewerken und Fachmagazinen. Mitunter stundenlang.

Dabei habe sie wertvolle Zeit erlebt, und wie sie davon spricht, nimmt sie sogar das Wort Sucht in den Mund. Schreiben, so sagt sie lächelnd, könne süchtig machen. Doch sie hat in all den Monaten noch mehr Erfahrungen sammeln dürfen, und die führen zu gänzlich Unerwartbarem. Es kam vor, dass es zu Schreibblockaden kam und sogar dazu, dass ihre Figuren ein Eigenleben entwickelten und sich auf unerklärliche Weise den Handlungsideen ihrer Autorin zu entziehen suchten.

Plötzlich entwickeln die Figuren ein eigenes Köpfchen

„Ich habe sie erschaffen und jetzt erzählen sie mir ihre eigene Geschichte (…) du erschaffst sie und dann machen sie selbstständig weiter – die haben ihr eigenes Köpfchen.“ Ein eigenes Köpfchen hat aber auch Anne selbst. Zumindest wirkt das mehr als einmal so. Dann, wenn sie im Gespräch ihre eigenen Gedanken energisch präzisiert. Oder auch mal ihre Mutter. Doch am Ende lächelt man wieder gemeinsam.

Leseproben hat Anne auch verteilt. An die Mutter, Freunde, Bekannte oder die Oma. Aber nur auszugsweise und so, dass niemand auf die gesamte Handlung schließen konnte.

Vor längerer Zeit, so das Mädchen, sei es von seinem Lehrer für Wirtschaft und Recht mal gefragt worden, was es denn mal werden möchte. „Der wollte unbedingt eine Leseprobe“, erinnert sich Anne und kramt noch eine Erinnerung hervor. Die, wonach dessen Frau, eine Deutschlehrerin, das Buch auch las und es gelobt habe.

Und nun? Jüngst war die junge Lichtenfelserin wieder in einer Buchhandlung. Weil sie Bücher liebt und davon überzeugt ist, dass man auch stilistisch lernen kann. „Jeder Autor hat ja einen besonderen Schreibstil, und jeder Schreibstil ist einzigartig.“

Anne Lehe hat noch über mehr Dinge rund ums Schreiben nachgedacht. „Jeder Charakter aus deinem Buch ist auch ein Teil von dir selbst“, befindet sie auch in eine psychologische Richtung denkend.

Zudem lässt sich als Autor trefflich spielen. Durch ihre Recherchen förderte sie Reichsärzteführer Gerhard Wagner zutage. Teile seines Charakters flossen in eine ihrer Figuren ein. Am 12. September schloss die Autorin ihre Arbeit am Buch ab. Der Grund spricht für sich und für eine zielstrebige Persönlichkeit: „Am 13. September war wieder Schule, und ich wollte es vor der zehnten Klasse fertigbekommen.“

Teilausschnitt einer kleinen Bibliothek von Anne Lehe, mittels derer sie das Gefühl für die Zeit und Umstände ihrer Protagonisten gewann. Foto: Markus Häggberg

Abitur ablegen und dann Geschichte studieren

Sie möchte künftig noch mehr fertigbekommen, und die Lust darauf verstärkte auch ihr sommerliches Praktikum in einer Teilbibliothek der Bamberger Universität. An einen solchen Ort wollte sie unbedingt gelangen, und jetzt strebt sie das Gymnasium an, das Abitur und ein Geschichtsstudium. Sie möchte Historikerin werden und mit diesem Hintergrund ließen sich gewiss interessante Bücher schreiben

Zuzutrauen wäre es ihr. Anne Lehe hat sogar schon ein neues Buch in Arbeit, und es handelt von ihrem Uropa. Von ihm fand sie einen Feldpostbrief aus Russland. Die Sütterlinschrift hat sie schon entschlüsselt und die von ihrem Uropa geschossenen Fotos chronologisch geordnet.

„Der Krieg wohnt nebenan“ hat 456 Seiten, kostet 17,99 Euro im Druck auf Bestellung.

 

Von Markus Häggberg

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