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Mainblick: Eine Demonstration, keine Nachricht

Mainblick: Jetzt hat's mich doch erwischt
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Da treffen sich mehr als 200 „Freiheitskämpfer“ auf dem Lichtenfelser Marktplatz, und das Obermain-Tagblatt berichtet nichts darüber. Kann das sein? Keine Sorge, liebe Leser, es lag nicht daran, dass wir beleidigt wären, weil wir keine Einladung bekommen haben.

Angesichts von 54 im Zusammenhang mit Corona verstorbenen Menschen im Landkreis und 214 aktuell Erkrankten erscheint uns der Protest von einigen Unbelehrbaren gegen die Verordnungen, die unser aller Gesundheit schützen sollen, nebensächlich. Zumal es schon rund 30 solcher Demos in Lichtenfels gab, bei denen Maskenpflicht, Lockdown und Impfungen mit in der Regel unsachlichen, von der Wissenschaft zur Genüge widerlegten Scheinargumenten kritisiert werden. Darüber haben wir bereits mehr als genug berichtet.

Zum Glück ist eine Demonstration in einer Demokratie ein selbstverständliches Recht. Und die Genehmigung der Veranstaltung trotz der Pandemie zeigt, dass unser Staats- und Rechtssystem funktioniert – gerade in der Toleranz seinen Kritikern gegenüber. Das einzig Erwähnenswerte wäre gewesen, dass die Polizei einige Teilnehmer über die Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, belehrte und Anzeigen gegen zwei Unbelehrbare erstattete.

Anmerken könnte man außerdem, dass Bernd Grau sein Hausrecht als Veranstalter nicht genutzt hat, um einen Demonstranten mit einer Reichsflagge des Platzes zu verweisen. Auch wenn solche Fahnen nicht verboten sind, signalisiert der, der sie öffentlich zeigt, die Ablehnung unseres Staats. Lässt man ihn gewähren, färbt das auf die gesamte Veranstaltung ab. Natürlich sind nicht alle Teilnehmer Feinde der Demokratie, doch die Duldung von solchen Symbolen ermutigt Rechtsextreme und macht sie hoffähig.

Angesichts des Leids der Erkrankten und der weiterhin hohen Infektionsgefahr erscheinen derartige Versammlungen fahrlässig, wenn nicht gar zynisch. Was sollen die vielen Vernünftigen denken, wenn einige Unbelehrbare sich nicht nur der Gefahr einer Infektion aussetzen, sondern deren Anstrengungen durch solche Auftritte gering schätzen?

Daher berichten wir stattdessen darüber, wie das ganze Land mithilft, die Pandemie zu bewältigen – indem sie sich bei Treffen mit Freunden und Verwandten einschränken, auf Kneipe und Kultur verzichten, im Home-Office arbeiten, um die Existenz ihres geschlossenen Geschäfts kämpfen oder in den Kliniken am Rande der Erschöpfung arbeiten. Denn das ist es, was wir jetzt brauchen: Vernunft, Vertrauen und Miteinander in gebührendem Abstand. Das schließt berechtigte Kritik an den Verordnungen nicht aus, wie regelmäßig Diskussionen von Fachleuten oder die Aufhebung überzogener Verordnungen durch Gerichte zeigen. Das sind Nachrichten, weil sie neue Informationen bieten.

Von Gerhard Herrmann gerhard.herrmann@obermain.de

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