Bürokratie wird von der Wirtschaft als eines der Hauptprobleme in Deutschland beklagt – was unternimmt ihre Partei dagegen?
Jürgen Baumgärtner (CSU): Die Bayerische Staatsregierung hat mit dem Beauftragten für Bürokratieabbau eine Stelle eingerichtet, die genau den Bürokratieabbau zum Ziel hat, und die als Ansprechpartner für die Wirtschaft, Vereine und Verbände sowie Bürgerinnen und Bürger für Initiativen zum Bürokratieabbau zur Verfügung steht und diese auf den Weg bringt. Zudem wird in den einzelnen Fachressorts direkt am Bürokratieabbau gearbeitet, zum Beispiel haben wir die Bauordnung reformiert und dabei die Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt.
Susann Freiburg (Grüne): Die ausufernde Bürokratie ist zu einem negativen Standortfaktor geworden. Grüne Digitalisierung wird sicherlich zu einem Bürokratieabbau führen. Auf Bundesebene, wo die Grünen in Regierungsverantwortung stehen, sind für den Bürokratieabbau anzuführen: die Kindergrundsicherung, die Umstrukturierung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, Vereinfachungen durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, aber auch im Energiebereich, etwa bei den Solaranlagen auf den Dächern, für die man nun kein Gewerbe mehr anwenden muss. So wie die bayerische Staatsregierung gehen wir sicher nicht an das Thema ran, indem wir – aus meiner Sicht verfassungswidrig – einen Beauftragten für Bürokratieabbau einstellen, der tatsächlich nur eines schafft: einen Zuwachs an Bürokratie (Vgl. SZ vom 8.11.2022 „Spurensuche im Graubereich“ über MdL Walter Nussel).
Michael Zwingmann (FW): Die Bürokratie ist leider in vielen Fällen ein große Hürde. Aus meiner Sicht ist der verstärkte Ausbau der Digitalisierung in den öffentlichen Prozessen und die Einführung von Zeitvorgaben zur Bearbeitung von Vorgängen ein Schritt in die richtige Richtung.
Harald Meußgeier (AfD): Das beklagen wir auch und das wird ein mühsamer Weg um dem entgegenzuwirken. Aus Brüssel kommt ein Schwall an Bürokratie, der kaum noch zu bewältigen ist. Insbesondere unser Mittelstand hat hier erhebliche Aufwendungen, die letztendlich den Wettbewerb zu Gunsten der Großkonzerne beeinflussen. Dies ist auch ein Grund, warum unsere Partei die EU von Grund auf neu aufstellen will. Zur Not auch durch Austritt mit nachfolgendem Neustart.
Sabine Gross (SPD): SPD, Grüne und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag ein „Bürokratieentlastungsgesetz“ angekündigt, das Wirtschaft, Bürger und Verwaltung gegenüber den bisherigen Bürokratieaufwand entlasten soll, allerdings ohne auf notwendige Schutzstandards zu verzichten. Darüber hat das Wirtschaftsforum der SPD schon 2022 einen Maßnahmenkatalog mit 13 Vorschlägen für ein Bürokratie-Entlastungspaket unterbreitet.
Oliver Ramm (FDP): Verkleinerung des Bundestages und des Landtages sind erste Schritte. Die Entbürokratisierung steht in der FDP als Ziel sehr weit vorne.
Erich Wohnig (ÖDP): Staatliche Stellen dürfen bereits bekannte Fakten nicht noch einmal abfragen, sondern müssen sich untereinander vernetzen.
Die Digitalisierung hinkt in der Verwaltung hinterher? Was wollen Sie unternehmen, damit Serviceleistungen wie Wohnort-Anmeldungen, Autozulassungen, Führerschein-Umtausch oder Bauanträge künftig generell digital erfolgen können?
Baumgärtner: Bei der Digitalisierung der Verwaltungen sind wir auf einem guten Weg, aber wir müssen zweifellos noch besser werden, weiter in die Verwaltungsmodernisierung investieren und den Kommunen dabei unter die Arme greifen. Wir stellen auf Landesebene den Digital.Campus Bayern, eine virtuelle Qualifizierungsplattform für Verwaltungsmitarbeitende, zur Verfügung. Zudem unterstützt die „BayKommun“ als Dienstleister die Kommunen gezielt bei der Nutzung und Entwicklung von Online-Diensten. Außerdem bietet der Freistaat den Kommunen mit den „BayernPackages“ ein Paket von über 200 Verwaltungsleistungen, die diese sofort einsetzen können. Diese Initiativen gilt es weiter auszubauen.
Freiburg: Um die angesprochenen Serviceleistungen auch nutzen zu können, brauchen wir erst einmal ein schnelles und für alle zugängiges Internet – egal ob ich auf dem Jura oder in Lichtenfels unterwegs bin. Gleichzeitig muss die Verwaltung schneller digitalisiert werden. Mitarbeitende in der Verwaltung müssen besser geschult werden, gleichzeitig stellen wir einheitliche, barrierefreie und nutzerfreundliche Portale in verständlicher Sprache bereit, die alle Menschen nutzen können.
Zwingmann: Da ich in der IT Branche arbeite, für mich relativ einfach. Welche Informationen werden benötigt, Aufbau der Plattform damit die Bürger die Daten eintragen können und dann die aufbereitenden Daten an die zuständige Abteilung weiterleiten. Meußgeier: Das trifft in kleineren Kommunen eventuell noch zu, die Umstellung auf Digitalisierung schreitet in großen Schritten voran. Aber ist das wirklich ein unbedingtes Muss? „Wenn der Wind nicht geht und die Sonne nicht scheint, wir keine Speicher haben, geht nichts mehr!“ Spaß beiseite, die Zeit ist reif und in vielen Bereichen hinkt der Ausbau des Datennetzes hinterher. Viele Betriebe haben seit Corona auch auf Homeoffice umgestellt. Man muss hier das Rad nicht neu erfinden, es bedarf lediglich der konsequenten Umsetzung.
Gross: Ich möchte hier zu bedenken geben, dass wenn Serviceleistungen nur noch digital erfolgen, einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung der Zugang erschwert wird, nämlich Mitbürgern mit geringen Einkommen und älteren Mitbürgern, die keinen Zugang zu digitalen Endgeräten haben oder mit der Digitalisierung überfordert sind. Und das sind nicht wenige Mitbürger. Durch die Digitalisierung dürfen keine neuen Zugangshindernisse geschaffen werden.
Ramm: Einfach einmal Taten auch umsetzen. Wohnig: Die Gemeindeverwaltungen brauchen ein einheitliches digitales System, dessen Einführung stark gefördert wird.
In Deutschland fehlen 1,5 Millionen Fachkräfte? Was unternimmt Ihre Partei dagegen?
Baumgärtner: Erst einmal gilt es das Potenzial, das wir in Deutschland haben, noch besser zu nutzen. Bundesweit muss noch mehr in die Bildung der Kinder investiert werden. Wir brauchen mehr moderne und flexible Arbeitszeitmodelle, zum Beispiel für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Teilzeit oder im Home Office im Beruf bleiben möchten. Weiterhin gilt es, die Arbeitskräfte, die in Deutschland nach Arbeit suchen, bei Bedarf weiter zu qualifizieren und in Arbeit zu bringen. Zudem brauchen wir eine gezielt gesteuerte Fachkräfteeinwanderung.
Freiburg: Der Arbeitskräftemangel ist riesig und wird immer größer: bis 2030 könnten uns bis zu fünf Millionen Arbeitskräfte fehlen. Man kann zwar umstrukturieren, etwa im Gesundheitsbereich, wo man über die Zusammenlegung von Häusern nachdenkt oder über Telemedizin und Ambulantisierung. Mir ist auch wichtig, dass gerade Handwerksberufe, wo es ja auch sehr hapert (im Sanitärbereich etwa dauert es im Durchschnitt 241 Tage bis eine Stelle wieder besetzt wird) deutlich mehr Wertschätzung erfahren. Ich werde mich im Landtag für verpflichtende Praktika im Handwerk in allen Schularten einsetzen. Ohne ausländische Fachkräfte werden wir das Problem nicht in den Griff bekommen. Deshalb haben wir auf Bundesebene in einem ersten Schritt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschiedet. Darüber rechnet man mit einem Zuzug von 65.000 Einwanderern jährlich. Das ist zu wenig. Weitere Schritte werden folgen müssen. Völlig kontraproduktiv ist es natürlich, Ausländerhass zu schüren!
Zwingmann: Ich persönlich würde für Berufe, in denen Fachkräftemangel herrscht, mit individuellen Steuersätzen Anreize schaffen, um Fachkräfte zu gewinnen.
Meußgeier: Fachkräfte fehlen nur dann, wenn sie nicht mehr ausgebildet werden, hier liegt der erste Ansatz. Man sollte in den Schulen frühzeitig beginnen, die Schüler für Handwerksberufe zu interessieren. Früher hatte man zum Beispiel Werken auf dem Stundenplan. Wir müssen den jungen Familien finanziell besser unter die Arme greifen. Wir importieren seit Jahren Fachkräfte aus dem Ausland, wo sind die? Wir geben Millionen für Migration aus, um Fachkräfte zu generieren, wo sind die? Wir sollten langsam anfangen, dieses Geld in unsere junge Generation zu investieren.
Gross: Mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz wurde die Anerkennung ausländischer Berufsausbildungen reformiert und der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtert, darüber hinaus haben Asylbewerber jetzt die Möglichkeit zum sogenannten Spurwechsel, wenn sie über eine entsprechende Qualifikation verfügen. Es wird eine Ausbildungsgarantie geben für diejenigen, die in Unternehmen keinen Ausbildungsplatz kriegen. Arbeitnehmer sollen gefördert werden, sich fortzubilden, auch Bayern braucht endlich einen gesetzlichen Anspruch auf Fortbildung. Frauen sollen stärker in den Arbeitsmarkt integriert werden durch bessere Kinderbetreuungsangebote. Sinnvoll ist auch, Menschen, die trotz Bezugs von Altersrente noch in Teilzeit weiter arbeiten wollen, bei den Abgaben zu entlasten.
Ramm: Ein Problem das seit 20 Jahren bekannt ist. Hier muss viel Aufklärung stattfinden, um die Bürger mitzunehmen. Wohnig: Wir brauchen ausländische Fachkräfte. Deshalb brauchen wir eine ausländerfreundliche Politik und Einstellung.
Würde eine Erleichterung der Einwanderung und die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse helfen, den Mangel zu beheben?
Baumgärtner: Die Verfahren zur Fachkräfteeinwanderung müssen schneller, digitaler, einfacher und serviceorientierter werden. Bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse ist es von Bedeutung, dass die erworbene Qualifikation als gleichwertig einzustufen ist. Fachkräftegewinnung bedeutet, dass wir qualifizierte Arbeitskräfte brauchen. Dies erreichen wir nicht, indem wir die Qualifikationsstandards senken.
Freiburg: Unbedingt. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat die Ampel einen ersten Schritt in diese Richtung getan. Außerdem brauchen wir in Deutschland wieder eine Willkommenskultur für Ausländer und Asylsuchende. Zwingmann: Sicherlich ja, aber man muss schon vergleichen, was in ausländischen Berufen an Wissen vermittelt wird und ob das unserem Standard gleicht.
Meußgeier: Nein, wir haben genügend „qualifizierte Einwanderer“ im Land. Fachkräfte aus dem Ausland sind unerlässlich, aber wir sollten hier besser auswählen, wer zu uns kommt.
Gross: Ich gehe davon aus, dass das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz zur Behebung des Fachkräftemangels ganz entscheidend beitragen wird.
Ramm: Ich sehe hier nicht die Problemlösung. Wohnig: Teil a: ja. Teil b: die Anerkennung muss vor allem viel schneller gehen.

Die Fragen stellte Gerhard Herrmann