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LICHTENFELS

Korbkarussell: Loslassen mit einem guten Gefühl

Zusammen mit Werner Turtschi (3.v.l.) freuen sich (v.l.) Zweite Bürgermeisterin Sabine Rießner, Schirmherr Christoph Maul, Korbstadtkönigin Alexandra, Manfred Rauh und Bürgermeister Andreas Hügerich, dass das kultige Korbkarussell auch künftig seine Runden auf dem Korbmarkt dreht. Foto: Mario Deller

Werner Turtschi sieht in die lachenden Gesichter der Jungen und Mädchen. So glücklich ihn das macht, wirkt der 67-jährige an diesem sonnigen Nachmittag doch ein wenig nachdenklich. Zum letzten Mal greift er selbst zum Schwungrad, um das vor dem Rathaus aufgebaute, mechanisch betriebene Korbkarussell in Bewegung zu versetzen. Schweren Herzens und doch mit einem guten Gefühl übergibt er dieses nun aus Altersgründen an die Stadt Lichtenfels.

Gute Nachricht

Die gute Nachricht aus Sicht der Jungen und Mädchen, die gerade bei gutem Wetter sich für das Vergnügen gerne in der Schlange anstellen: Das Korbkarussell wird sich auch weiterhin auf dem Lichtenfelser Korbmarkt drehen. Aber für den Schweizer, der es 2013 gemeinsam mit seiner Geschäftspartnerin Therese Leutwyler in mühevoller Arbeit und mit viel Herzblut gebaut hat, war es fast wie ein „Kind“.

Das Karussell wird allein durch Muskelkraft bewegt. Und es gilt dabei stets, die kleinen Fahrgäste im Blick zu haben und die Drehgeschwindigkeit daraufhin auszurichten. Wird es einem Kind zu wild, wird sachter gedreht. Manchen Jungen und Mädchen hingegen kann es gar nicht flott genug gehen, dann kann auch an Tempo zugelegt werden. „Da braucht es schon Fingerspitzengefühl“, betont Turtschi in diesem Zusammenhang.

„Es schmerzt schon ein bisschen, das Korbkarussell zum letzten Mal zu drehen.“ Werner Turtschi versetzte sein „Kind“ noch einmal in Bewegung. Foto: Mario Deller

Entsprechend wies Turtschi während des Korbmarktes 2023 die neuen Korbkarussell-Dreher Daniel Schmid und Michael Dauer in die Handhabung ein. Zum Auftakt am Freitag war der Schweizer noch einmal beim Aufbau dabei, der sich gar nicht so einfach gestalte. „Die werden ihre Sache gut machen, da bin ich überzeugt“, hält er auf Schmid und Dauer große Stücke und freut sich, dass das Karussell in Lichtenfels auch künftig die Kinderherzen höher schlagen lässt.

Dreieinhalb Minuten dauert eine Runde mit dem mechanischen Korbkarussell, wobei dieses auch in Sachen Zeitmessung auf moderne Technik verzichtet. Zusätzlichen Charme verleiht dem Karussell nämlich eine nahe der mechanischen Antriebsscheibe angebrachte Sanduhr. Wenn dann das letzte Körnchen herunter gerieselt ist, würden manche Kinder am liebsten noch eine halbe Stunde weiterfahren. Doch die nächsten jungen Fahrgäste warten schon ungeduldig. Es gab auch einmal die Vision, dass das Korbkarussell Musik erhalten solle dergestalt, dass durch das Drehen der Antriebsscheibe diese abgespielt wird. „Nach nächtelangem Grübeln und Gesprächen mit Leuten sah ich mich leider gezwungen, diese Idee wieder aufzugeben. Der Aufwand hätte mein Wissen, Können und meine zeitliche Kapazität überstiegen“, bedauert Turtschi, dass die Umsetzung nicht gelang.

Prominente Fahrgäste

Wie auch Bürgermeister Hügerich machte die Korbstadtkönigin den Spaß mit und drehte lachend eine Runde. Foto: Mario Deller

Auch größere Kinder können sich immer wieder für das Korbkarussell begeistern, das auf dem Lichtenfelser Korbmarkt mittlerweile Kultcharakter hat. Und die höhere Gewichtsbelastung im Vergleich zu den kleinen Fahrgästen hält das Karussell problemlos aus. Dies zeigte sich einmal mehr, als Korbstadtkönigin Alexandra I. und Bürgermeister Andreas Hügerich am Samstagnachmittag eine Runde drehten. Werner Turtschi trat an der Antriebsscheibe noch einmal in Aktion und sah mit Entzücken, wie Bürgermeister und Korbstadtkönigin im Karussell sitzend lachend den Umstehenden zuwinkten. Zusammen mit der Zweiten Bürgermeisterin Sabine Rießner, Schirmherr Christoph Maul und dem Geschäftsführer des Zentrums Europäische Flechtkultur Lichtenfels, Manfred Rauh, sprachen die beiden Werner Turtschi herzlichen Dank aus und drückten ihre Zuversicht aus, dass das Korbkarussell sich noch viele Jahre in der Deutschen Korbstadt dreht. Bis zum nächsten Lichtenfelser Korbmarkt werden die auseinandergebauten Einzelteile nun zwischengelagert im städtischen Bauhof.

Blickt man auf die „Geburtsstunde“ des Korbkarussells zurück, kommt Turtschis langjährige Geschäftspartnerin Therese Leutwyler ins Spiel. Die beiden kennen sich seit Jahrzehnten, absolvierten in den 1970ern bei Leutwylers Vater Othmar in Thun gemeinsam die Ausbildung im Korbflechthandwerk. 2008 mietete sich Turtschi in die Werkstatt von Therese Leutwyler ein, seitdem haben die beiden einen gemeinsamen Internetauftritt (flechtereien.ch). „Die Zusammenarbeit mit Therese war sehr inspirierend“, so Turtschi, der sich an gemeinsame Projekte erinnert wie die Teilnahme an Märkten und Ausstellungen, „Särgeflechten“ – und eben das Korbkarussell.

Die Initialzündung, die in den Bau eines solchen münden sollte, kam nämlich von Therese Leutwyler. Sie sah ein ähnliches Konstrukt auf einem Flechtfestival in Budapest. Und da dachten die beiden, „das können wir auch“. Turtschis Schwager machte sich als Konstrukteur daran, das Ganze zu berechnen, fertigte eine Zeichnung an. „Dann haben Therese und ich uns eine Woche für den Bau des Korbkarussells reserviert und unsere Werkstatt quasi in eine Zimmerei verwandelt“, blickt Turtschi zurück, als wäre es gestern. Nach rund 80 bis 90 investierten Arbeitsstunden stand das Grundgerüst, anschließend flocht Therese Leutwyler die Sitzkörbe.

Große Freude

Schon beim ersten offiziellen Einsatz des Karussells auf dem Mittelaltermarkt in Burgdorf im schweizerischen Kanton Bern 2013 bereitete das originelle Freizeitvergnügen allen Fahrgästen große Freude. Bis heute wurde das Korbkarussell bei rund 45 Anlässen gedreht, so etwa bei einem Mittelaltermarkt oder einer Fahrradbörse, beim Flechtfestival der IGK Schweiz – und seit 2014 von der Pandemiezeit abgesehen alljährlich auf dem Lichtenfelser Korbmarkt.

Jahrzehntelang war Werner Turtschi als selbständiger Korbmacher und Kursleiter tätig, leitete bei Auslandsaufenthalten sogar Kurse in den USA und in Kanada. Übrigens war der Schweizer bereits 2010 auf dem Korbmarkt vertreten als Leiter eines Workshops „Dekorationskugeln flechten“. Seit nunmehr zwei Jahren ist der Schweizer pensioniert, wenngleich er dem Flechthandwerk natürlich weiterhin verbunden bleiben wird. „Ich flechte hin und wieder auf Kundenwunsch bei mir zuhause in Hondrich, repariere auch Stuhlgeflechte.“ Darüber hinaus ist er viel auf Reisen.

Alles hat seine Zeit

Die Jungen und Mädchen genießen sichtlich die dreieinhalb Minuten währende Fahrt mit dem Korbkarussell. Foto: Mario Deller

Alles hat seine Zeit. So traurig der Spruch klingt, so wahr ist er eben auch. Wehmut klingt in Turtschis Stimme mit: „Meine Helfer Gerda und Urs und ich bedauern es wirklich sehr, das Korbkarussell abzugeben. Wir verbinden wunderschöne Erlebnisse damit. Wenn Kinder vor Freude jauchzen, hat auch uns das beglückt. Es schmerzt schon, das Korbkarussell selbst zum letzten Mal zu drehen. Dennoch muss es sein, man ist ja nicht mehr 60.“

„Wo passt das Korbkarussell besser hin als auf den Lichtenfelser Korbmarkt?“, freut sich auch Citymanager Steffen Hofmann darüber, dass das Unikat nun eine dauerhafte Bleibe in der Korbstadt findet. So reist Werner Turtschi nun mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück in die Schweiz. Das Korbkarussell ist aus dem Korbmarktgeschehen nicht mehr wegzudenken. Es ist sicher im Sinne von Werner Turtschi und Therese Leutwyler, abschließend wohlwollend eine optische Verbesserungsmöglichkeit einzuflechten, die indes keineswegs das längst Kultcharakter einnehmende Korbkarussell selbst anbelangt, sondern die dieses während des Korbmarkts umgebende weiße Absperrung. Die erfüllt zwar ihren Zweck, um das Hereinlaufen von Passanten zu verhindern und somit die Sicherheit der kleinen Fahrgäste zu gewährleisten. Doch nennen wir das Kind beim Namen: Schön ist anders. Eine beispielsweise im Flechtstil gestaltete Abgrenzungswand würde das Ganze zur runden Sache werden lassen und das wunderbare, handbetriebene Korbkarussell noch besser zur Geltung bringen. Hier im Landkreis mit vielen kreativen Köpfen im Flechthandwerk dürfte das gelingen.

Von Mario Deller

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