Iris Birger und Stefanie Fischer sind Kinderbuch-Bloggerinnen. Vom Netz in die Tageszeitung geht es mit ihren Buchtipps zweimal im Monat auf OTverbindet. Die heutigen Empfehlungen beschäftigen sich entsprechend der Jahreszeit mit dem Tod. Durchaus ein Thema auch für Kinder, solange die Eltern es im Gespräch vermitteln.
Zwischen Lebkuchen in den Regalen und ersten Lichterketten in den Schaufenstern mag bei einigen vielleicht schon etwas Weihnachtsstimmung aufkommen. Und das ist nur verständlich, denn wie sehr wünschen wir uns alle mehr Licht in den dunkler werdenden Tagen und mehr Heiterkeit als Perspektive im Alltag. Dabei hat der November in Bezug auf Feiertage viel mehr zu bieten als den ersten Advent, der die Weihnachtszeit einläutet. Beginnend mit Allerheiligen und Allerseelen geht der November zunächst einem fröhlichen Feiertag entgegen, denn am Martinstag erleuchten überall bunte Laternen die Straßen und Kinderaugen. Doch dann geht der November mit Volkstrauertag, Buß- und Bettag sowie Totensonntag schwereren Feiertagen entgegen – Tage, die mit ihrem bedrückenden Tenor von manchen gescheut werden.
Auch Traurigkeit, Melancholie und Wehmut dürfen Raum haben
Und Kinder, so mögen einige vielleicht denken, sollen mit solchen Tagen und Themen rund um das Sterben, den Tod und die Trauer schon gar nicht belastet werden. Dabei mag man vielleicht übersehen, dass auch Traurigkeit, Melancholie und Wehmut Raum haben dürfen. Und Feiertage wie Totensonntag und Volkstrauertag gerade in eine Jahreszeit fallen, die uns mit ihrer dunklen Stimmung und dem Vergehen der Natur geradezu dazu einlädt, sich auch „schweren“ Themen und ungeliebten Gefühlen zu widmen.
Kinder nehmen die Stimmung oftmals besonders deutlich wahr und stellen vielleicht Fragen: Nach den welken Stauden und kahlen Bäumen, den Lichtern auf dem Friedhof oder den toten Bienen auf dem Weg. Bei all diesen Alltagsfragen über das Sterben und den Tod und natürlich erst recht, wenn Trauer ein akutes Thema in der Familie oder im Freundeskreis ist, können Kinderbücher den Kleinen und ihren begleitenden Erwachsenen eine Stütze sein. Um Gefühle zu benennen, Fragen zu beantworten, Unerklärliches in Worte zu fassen und um das Sterben und den Tod wieder mehr ins Leben zu holen.
Kinder fragen viel. Kinder möchten noch mehr wissen. Eine mögliche erwachsene Antwort lautet nicht selten: „Die Oma ist jetzt eingeschlafen. Für immer.“ Dies wäre in solch schweren Situationen die womöglich unpassendste Aussage. Was hat der Tod mit dem Schlaf zu tun? Nach dem Schlafen wachen wir doch am Morgen immer wieder auf? Kinder haben ein Recht auf ehrliche, aber kindgerechte Antworten. Aus diesem Grund haben wir uns intensiv mit dem Angebot der Kinderliteratur rund um „Verlust, Tod und Trauer“ beschäftigt.
Wie man Abschied von einem geliebten Freund nimmt
Im Rahmen von Iris Birgers Abschlussarbeit für die Weiterbildung „Kinder- und Jugendliteratur“ an der STUBE Wien durchleuchtete sie die Gattung Bilderbuch. Die folgenden Buchempfehlungen wurden daher bewusst in einer bestimmten Reihenfolge für Sie erarbeitet, da diese Bilderbücher für unterschiedliche Perspektiven stehen, unterschiedliche Altersstufen ansprechen und in ihrer illustratorischen Ausgestaltung einzigartig sind.
Der Einstieg gelingt mit einer unserer Lieblingskünstlerinnen: Antje Damm. Sie erklärt einfach und stets mit Leichtigkeit. Hierzu baut sie kleine 3D-Modelle und Theaterkulissen, die sie bunt gestaltet, besonders ausleuchtet, abfotografiert und mit passenden Textstellen ergänzt. In „Füchslein in der Kiste“ (Moritz Verlag, 2020) erklärt sie Kindern ab ungefähr fünf Jahren, was es bedeutet, Abschied von einem geliebten Freund zu nehmen. Aus Sicht einer kleinen Gruppe Hasen und eines Fuchs wird hier liebevoll und behutsam auf die Themen Altersschwäche, Abschied, Tod und Trauer eingegangen. Und hoffnungsvoll ist diese Geschichte allemal, denn der alte Fuchs lebt in den Erinnerungen seiner Hasenfreunde weiter.
Im Bilderbuch „Und danach – Gedanken über das große Jenseits“ von Silvia und David Fernández, Mercè López und Alexandra Gonzáles-Calatayud (Bohem Verlag, 2021) philosophieren tierische Zirkusartistinnen und -artisten über die Frage aller Fragen. Wie geht es nach dem Leben weiter, wenn wir gestorben sind? Als sie ihre Übungen auf dem Hochseil einstudieren, kommt die Frage auf: Was, wenn jemand in die gefährliche Tiefe fällt? Der spirituelle Ansatz versteht es mithilfe von malerischen Illustrationen bei jedem Gedanken an das Jenseits die verschiedenen Weltreligionen einzubinden und uns dabei aufzuzeigen, dass es nicht nur eine einzige Vorstellung geben darf und kann. Denn wer könnte diese vermeintliche Wahrheit über das Jenseits schon belegen? Am Ende des Buches ergibt sich im Rahmen des wertvollen dialogischen Vorlesens ein besonderer Moment mit der Frage „Und was glaubst du?“.
Wenn das geliebte Haustier stirbt, ist dies ein schmerzhafter Einschnitt für alle Familienmitglieder. In „Bikos letzter Tag“ von Saskia Hula und Eva Muszynski (Klett Kinderbuch Verlag, 2017) erhalten wir verschiedenen Perspektiven auf das Thema Tod und Trauer. Familienhund Biko ist alt und möchte loslassen. Aber ist er schon bereit dafür? Er muss schließlich auf die Familie aufpassen. Wer sonst könnte das tun? Die Katze? Sicherlich nicht. Bikos Abschied kündigt sich an. Die Familie trauert. Auch der Tierarztbesuch wird kurz und behutsam beschrieben. Besonders gut daran gefällt uns die Auseinandersetzung mit über den Tod hinausgehenden Themen wie Alter, Krankheit und Erlösung. Die Geschichte versteht es, den inneren Monolog der Familienmitglieder und den von Biko so realitätsnah abzubilden, dass man den Verlust nachempfinden kann. Genau darauf kommt es in Bilderbüchern an. Sie zeigen Kindern verschiedenen Sichten auf unsere Welt und geben ihnen die Chance, ihre Empathie zu fördern.
Über den Tod des Großvaters: Kinder ertragen auch Brauntöne
Den folgenden drei Büchern ist gemein, dass sie sich auf echte Situationen im Familienleben konzentrieren. „Hat Opa einen Anzug an“ von Amely Fried und Jacky Gleich (Carl Hanser Verlag, 1997) thematisiert den Tod des Großvaters. Kürzlich lasen wir eine Kritik im Internet, die darauf verwies, dass dieses Bilderbuch in seinen dunklen Farben nicht kindgerecht sei. Kinder bräuchten es bunt. Unsere Sicht: Lassen Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, von solchen Kritiken nicht vom Ausleihen oder Kaufen eines solchen Buches abschrecken. Unsere Erfahrung zeigt, dass Kinder sich sehr wohl auf verschiedene Illustrationsstile einlassen möchten und die künstlerische Vielfalt zu schätzen wissen. Unsere Interpretation der starken Fokussierung auf Brauntöne liegt darin, dass ein Anzug die Farbe braun tragen kann, ebenso Opas Schuhe oder seine Werkstatt. Ein Sarg ist meistens holzfarben. Und nicht zuletzt geht es um die Erde und Beerdigung.
Auch die Bilderbücher „Der Junge und der Gorilla“ von Jackie Azúa Kramer, Cindy Derby und Bernd Stratthaus (Annette Betz im Ueberreuter Verlag, 2020) und „Für immer“ von Kai Lüftner und Katja Gehrmann (Beltz&Gelberg Verlag, 2013) greifen den Verlust und die Sprachlosigkeit der Erwachsenen innerhalb der Familie auf. Sterben Mutter oder Vater, so zerspringt die Welt in tausend Scherben. Es gibt keine Worte. Diese Bücher können Trost spenden. Sie zeigen realitätsnah, welche Gefühle Kinder in sich tragen, wie sie trauern und welche Fragen sie zu stellen versuchen. Sie brauchen Antworten, Nähe und Liebe.
Dies alles kann beim gemeinsamen Lesen von Bilderbüchern entstehen. Bilderbücher mit dem Wort „Tod“ im Titel und dann noch einer grafischen Personifizierung des Todes? Womöglich noch mit einer erwachsenen Vorstellung, die geprägt ist von einer skeletthaften Erscheinung? Darf so etwas in der Kinderliteratur gezeigt werden? Unsere Antwort darauf lautet: Ja, das darf es, jedoch sicherlich nicht als Einstieg und nicht für jüngere Kinder. Es muss jeder und jedem selbst überlassen sein, ob und wann zu diesen Büchern gegriffen wird und die Inhalte im Gespräch mit Kindern thematisiert werden. Auch für uns Erwachsene können diese Illustrationen oft etwas Versöhnendes statt Verstörendes in sich tragen und somit bestimmte Sorgen und Ängste mildern.
Eine Ente trifft den Tod: Wie Leben und Sterben zusammengehören
In „Ente, Tod und Tulpe“ von Wolf Erlbruch (Kunstmann Verlag, 2010) beispielsweise wird die Begegnung einer Ente und des Todes erzählt. In Erlbruchs reduziertem linearen Illustrationsstil zeigt sich innerhalb eines kleinformatigen Büchleins ein Vorleseschatz. Der Tod stellt sich vor. Die Ente ist irritiert von seinem Besuch. Sie verweilen eine ganze Zeit miteinander. Sie werden Freunde. Am Ende verlässt die Ente den Tod und geht hinüber ins Jenseits. Der Tod bleibt alleine zurück. Fast traurig ist seine Anmutung. Dass das Leben (in Form der Ente) und der Tod (ein Männchen mit Skelett und Umhang) zusammengehören und uns dieser Umstand keine Angst machen sollte, wird hier gefühlvoll und zugleich leicht humorvoll gezeigt.
Ein wichtiger Hinweis, den wir Ihnen zum Schluss mitgeben möchten: Bitte lesen Sie diese Bücher und auch andere Bücher zu eher sensiblen Themen immer zunächst ein paar Mal für sich selbst und entscheiden Sie abhängig von der Entwicklung Ihrer Schutzbefohlenen, ob und wann der richtige Zeitpunkt dafür ist.
Mehr dazu im Internet: www.kinderbuchstabensuppe.de.
Von Iris Birger und Stefanie Fischer