Allerheiligen und Allerseelen sind auch am Obermain oftmals düstere Tage. Über dem Main, der sich durch den Landkreis schlängelt, erheben sich Nebelschwaden, und an so manchem Tag sind der Staffelberg, Banz und Vierzehnheiligen in Wolken verborgen. In diesen düsteren Novembertagen feiert die Kirche seit vielen Jahrhunderten zwei Feste, die sich gut in diese Jahreszeit einfügen und mit vielerlei unterschiedlichem Brauchtum verbunden sind.
Seit dem neunten Jahrhundert begeht die katholische Kirche am 1. November das Fest Allerheiligen. An ihm wird aller Menschen gedacht, die ein heiligmäßiges Leben geführt haben und von denen man glaubt, dass sie schon in Gottes Herrlichkeit vollendet leben.
Kein trauriges Fest, sondern ein goldglänzender Tag
Allerheiligen ist kein trauriges Fest. An ihm steht vielmehr die Botschaft von Ostern im Vordergrund: Alle Menschen, die auf Christus getauft sind, dürfen darauf vertrauen, dass sie auf seine Auferstehung und sein ewiges Leben getauft sind. Allerheiligen ist ein goldglänzender Tag, denn an ihm wird der Blick auf das himmlische Jerusalem gelenkt, jenen Ort, an dem Gott alles in allem ist. Dort leben die Heiligen, die schon in Gott vollendet sind.
Während der erste Tag des Monat November die Heiligen in den Mittelpunkt stellt, ist der 2. November der Gedächtnistag aller Verstorbenen. Ihm kommt auch am Obermain eine große Bedeutung zu.
Wenn das große Heer der Toten umherzieht
Nach germanischem Glauben teilen der 1. Mai und der 1. November das Jahr in eine Sommer- und eine Winterhälfte. Mit der Erinnerung an den dahingeschiedenen Sommer verband man auch das Gedächtnis der verstorbenen Menschen. An diesem Tag, so glaubte man, zog das große Heer der Toten umher, um sich mit bereitgestellten Speisen für die Weiterreise zu stärken. Dieser Glaube an den Umzug der Toten hat sich mancherorts noch erhalten. Als Zeitpunkt hierfür gelten die ersten Novembernächte bis zum Fest des heiligen Martin am 11. November.
Am Allerseelentag sollen auch die armen Seelen aus dem Fegefeuer in den Himmel fahren, so ein alter Volksglaube. In der Allerseelennacht kehren die Verstorbenen auf die Erde zurück. Deshalb war es früher Brauch, Brot und Wein für sie auf die Gräber zu legen. Und es war eine Selbstverständlichkeit, dass man am Abend des Allerheiligenfestes in den Häusern miteinander den Arme-Seelen-Rosenkranz betete.
Milch, Brotstücke und ein warmes Feuer im Ofen
Für die in der Nacht umherirrenden Seelen stellte man eine Schüssel mit Milch oder in Weihwasser aufgeweichte Brotstücke im Haus bereit. Das Feuer im Ofen sollte am Allerseelentag nicht ausgehen, damit sich die armen Seelen daran wärmen konnten. Am Herd durfte kein leerer Topf stehen, damit sich keine der armen Seelen hineinsetzen konnte, und kein Messer durfte verkehrt herum liegen.
Auch in der Gegend am Obermain werden in vielen Bäckereien in diesen Novembertagen die Seelspitzen verkauft. Dabei handelt es sich um ein Gebäck, das man in heidnischen Zeiten für die Toten bereithielt, um sie auf ihrer Reise zu stärken. Die Altvorderen wissen zu berichten: „Wenn der Allerseelentag näher rückt und zum Gedenken an die Toten aufruft, dann beginnt für die Bäuerin eine alte Sitte wieder wach zu werden, das Backen der Seelspitzen.
Ein Teiggebilde in Zopfform als Ersatz für echtes Haar
Hatten bei unseren Vorfahren die Frauen dem verstorbenen Gatten ihr Haar mit in den Grabhügel gelegt, so milderte die Zeit diese Sitte und machte einem Teiggebilde in Form eines nachgebildeten Zopfes Platz.“ Oftmals hat man die Seelspitzen dann an die Kinder oder die Armen verschenkt. Wer eine solche Gabe erhielt, bekam zugleich den Auftrag, für die armen Seelen zu beten.
Der Volksmund weiß einige Anzeichen, dass eine arme Seele hilfsbedürftig ist: So träumt man von einem Verstorbenen oder es wächst aus seinem Grab eine Distel. In diesem Fall hat der Verstorbene zwar eine Wallfahrt gelobt, diese aber nicht ausgeführt. Um den Toten zu erlösen, müssen nun die Angehörigen das abgelegte Gelübde erfüllen.
Die Irdischen sollen die armen Seelen aus dem Fegefeuer befreien
Häufig aber erscheinen die armen Seelen selbst und erbitten Hilfe, um aus dem Fegefeuer erlöst zu werden. Solche Erscheinungen ereignen sich zum Beispiel zur Mitternacht oder zur Zeit des Gebetläutens. Dabei soll man die Geister mit folgendem Spruch ansprechen: „Alle guten Geister loben Gott, den Herrn, sag? an, was ist dein Begehr'n?“
Zu solchen Gestalten zählt auch die weiße Frau, die im Lichtenfelser Untergrund spuken soll. Auch von einem Marksteinversetzer, der sein Unwesen am Goldberg trieb, oder den „feurichen Männla“ wissen die Erzählungen aus dem Lichtenfelser Umland zu berichten. Sie alle kehrten als unerlöste Seelen auf die Erde zurück, um die Irdischen um Hilfe zu bitten.
Wie stark solche Vorstellungen bis heute im Volksglauben lebendig sind, zeigen sprichwörtliche Redensarten wie: „Der wart' drauf wie a arma Seel'“ oder „Jetzt hat die arm' Seel' endlich ihr Ruh!“ Solche Sprüche hört man auch am Obermain immer wieder.
Als Friedhöfe noch Rosengärten glichen
Die besondere Sorge um die Toten kommt in der Pflege ihrer Gräber zum Ausdruck. Gerade in den Tagen vor Allerheiligen herrscht auch auf den Friedhöfen hierzulande „Hochbetrieb“, um die Gräber für den bevorstehenden Winter herzurichten. Freilich muss sich der Grabschmuck heute nach den geltenden Friedhofsordnungen richten. In früheren Zeiten pflanzte man auf den Gräbern Rosenstöcke, Königskerzen, Nelken und Ringelblumen; auch Tulpen und Narzissen waren auf den Gottesäckern zu finden. Ein Bericht aus alter Zeit erzählt, dass der Friedhof „einem Rosengarten sonderer Schönheit“ geglichen habe.
Während die katholischen Christen ihrer Verstorbenen an Allerheiligen und Allerseelen gedenken, hat sich Anfang des 19. Jahrhunderts in der evangelischen Kirche der Totensonntag etabliert. Er ist zugleich der letzte Sonntag im Kirchenjahr und wird in diesem Jahr am 21. November begangen. Auch der Volkstrauertag am 14. November ist ein Gedenktag für die Verstorbenen, wobei der Fokus hier auf dem Erinnern an die Toten der Kriege und Gewalttaten liegt.
Zum Allerseelentag hat schon der Dichter vom Kordigast, Franz-Joseph Ahles, einige Gedanken verfasst. Er schreibt: „Der stille Allerseelentag ist wiederum gekommen, / Da denken wir der Lieben all, die uns der Tod genommen / Und breiten auf ihr letztes Haus / Des Jahres letzte Blüten aus. / (…) Ihr Toten schlaft in Gottesruh! Ihr seid uns alle Brüder, / Vielleicht legt man uns selber bald in eure Reihen nieder, / Dass man auch uns beweinen mag, / Am nächsten Allerseelentag.“

Von Fabian brand