Auch wenn es bisweilen ein Politikum ist, ob Parkplätze wirklich wichtiger sind als vernünftige und sichere Radwege, wird niemand ernsthaft bestreiten, das Radfahren sehr sinnvoll ist. Und dafür gibt es viele gute Gründe: Es schafft Bewegung und tut damit der Gesundheit gut, es hilft Geld zu sparen, es dient dem Umweltschutz und der Entlastung des innerstädtischen Verkehrs.
Kein Wunder, dass diese Art der Fortbewegung bei Jung und Alt und in allen Schichten und Berufsgruppen sich gleichermaßen großer Beliebtheit erfreut.
Die ersten Radfahrvereine
Wann und wie aber begann die „Karriere“ des Fahrrads in Lichtenfels und der Umgebung? Nachdem das Rad, gemeint ist hier die berühmte Draisine, in Deutschland erfunden wurde, erlebte es zunächst in England seine Weiterentwicklung und seinen Durchbruch als Verkehrsmittel für die Masse. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts trat es dann seinen endgültigen Siegeszug in Deutschland an, wobei hier für einige Jahrzehnte Hochrad und Niederrad in ernsthafter Konkurrenz zueinander standen.
Zu dieser Zeit entstanden auch die ersten Fahrradvereine, so zum Beispiel die R.V. Concordia, die noch vor dem Ersten Weltkrieg in Seubelsdorf, Altenkunstadt, Mistelfeld, Reundorf und Lichtenfels Ortsgruppen hatte. Selbstverständlich gab es auch schon in Coburg eine organisierte Radfahrergemeinde.
Neben Rennen und Training organisierten diese Vereine auch das gesellschaftliche und kulturelle Leben ihrer Mitglieder durch Bälle, Feiern und Veranstaltungen jeder Art. Einen Höhepunkt stellten dabei oft die „Standartenweihen“ dar, an denen sich die Gruppen selbst eine Fahne gaben und damit ihren Platz im vielfältigen Vereinsleben des deutschen Kaiserreichs einnahmen.
Natürlich gehörten auch Darbietungen der Fahrradkunst ins Programm, wobei es nicht immer nur um Schnelligkeit ging, sondern auch Dinge wie Langsamfahren oder Akrobatik auf dem Rad dargeboten wurden.
Um sich Räder zu besorgen, musste man nicht allzu weit in die Ferne schweifen. Das nächste Fahrradwerk, die „Corona“, befand sich in Burgkunstadt, in Coburg existierte seit 1879 die Großhandlung „Greif und Schlick GmbH“, die vor allem die Marke „Cobursa“ vertrieb. Und in Bamberg gab es mit den „Alan-Werk“ und der Fabrik „Heppel und Hoh“ (Marke „Bambergia“) gleich zwei Produzenten zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Ersatzteile bekam man auch im Laden Georg Opels in Altenkunstadt. Und in Lichtenfels selbst verkauften Georg Pfadenhauer und Hans Niebauer seit den 20er Jahren Räder.
„Velociped-Karten“
Wer um 1900 in Lichtenfels Rad fahren wollte, musste sich registrieren lassen und bekam eine „Velociped-Karte“ ausgestellt. Das Verzeichnis dieser Karten, heute im Stadtarchiv aufbewahrt, verrät Einiges über die Gesellschaft der Zeit. Die Gebühr betrug zunächst eine Mark, in den Jahren der Inflation ab Mai 1921 bereits zwei Mark und vier Monate später bereits 10 Mark.
In den 24 Jahren, in denen Karten ausgestellt wurden, von 1898 bis 1922, wurde insgesamt 1.218 Karten ausgegeben, das sind 53 im Jahresdurchschnitt. Keine einzige Karte davon war für eine Frau.
Für Frauen galt Radfahren als unschicklich, ja sogar schon als nahezu unanständig und war deshalb nicht statthaft. Man glaubte, Frauen, die das Radfahren betrieben, würden zu „Mannweibern“ und schlimmer noch, es sei die Schädigung der weiblichen Organe zu erwarten, bedingt durch die ständigen Erschütterungen, und dann sei eine Mutterschaft unmöglich.
Wer noch mehr Details zu dem Thema „die Gefahren des Rads“ wissen will und wer sich zugleich gut unterhalten möchte, sollte Uwe Timms Novelle „Der Mann auf dem Hochrad“ lesen, in der auf höchst amüsante Weise dargestellt wird, wie in der Zeit um 1900 in Coburg das Radfahren eingeführt wird, zu welchen Widerständen und teils grotesken Begleiterscheinungen es dabei kam.
Auffällig ist auch die Verteilung der Karten hinsichtlich des Alters: Die Gruppe der 14- bis 40jährigen macht weit über 80 Prozen aus, was wohl auch damit zu tun hat, dass das Rad eine gewisse Mobilität im Berufsleben erlaubte. Jungen unter 14 und Männer über 40 stellen nur 18 Prozent der Radfahrer, und wer über 50 noch Rad fuhr, war ein echter Exot. Der älteste Karteninhaber war 58.
Bei der Betrachtung der Berufe der Karteninhaber fällt auf, dass überdurchschnittlich viele von ihnen dem Arbeiterstand angehörten, vor allem Bahnarbeiter machen einen erheblichen Anteil aus. Das sind wohl gerade die Menschen, die oft relativ weite Wege zur Arbeitsstelle zurückzulegen hatten, für die also ein Fahrrad das ideale Transportmittel darstellte. Es finden sich aber auch Handwerker, Angestellte und Beamte unter den Fahrradkarteninhabern. Einzig der Bauernstand erscheint kaum, war es doch nur gut ein Dutzend von ihnen, die sich Fahrräder zugelegt haben.
Auch ein Blick auf die jährliche Verteilung der Karten lohnt. Im Jahr der Einführung 1898 erreicht die Zahl der Kartenausgaben gleich die stolze Zahl von 73, um schon im Jahr darauf auf 29 zu sinken.
Erster Ansturm vorüber
Offensichtlich war der erste Ansturm zunächst einmal erledigt. Von da an aber steigt die Zahl wieder kontinuierlich an, bis sie 1909 mit 116 ihren absoluten Höhepunkt erlebt. Das ist die Zeit, in der Lichtenfels wirtschaftlich wie auch kulturell eine Blütezeit erlebt und ein bis dahin nicht erreichtes gesellschaftliches Leben entwickelt. Dann aber geht es ebenso kontinuierlich bergab, bis mit dem Kriegsjahr 1917 mit nur noch 15 Karten ein Tiefpunkt erreicht wird.
Der Krieg bindet alle Ressourcen und lässt auch in diesem Bereich nicht mehr viel zu. Nach dem Krieg bis zum Ende der Aufzeichnungen 1922 steigen die Zahlen wieder auf über 70 Stück im Jahr.
Heutzutage ist Radfahren ein Vergnügen für Jedermann, gleich welchen Alters und welchen Geschlechts. Und gerade jetzt sollte man den beginnenden Frühling nutzen, das Rad aus dem Keller holen und einfach mal losfahren.

Von Karl-Heinz Hößel