Nach dem Krieg bis in die 1970er Jahre war es üblich auf den Dörfern am Obermain – und natürlich auch in Marktzeuln – einmal im Jahr die sonst eher schüttere Speisekarte mit Delikatessen vom Schwein zu bereichern. Auch in der Familie des Autors pflegte man diesen Brauch.
Heinz Fischer erzählt: „Wenn es im Januar oder Februar in den 1960er Jahren richtig klirrend kalt war, war die richtige Zeit gekommen, um zuhause ein Schwein zu schlachten. Dies geschah einmal im Jahr, so wie auch in den Häusern ringsum in Marktzeuln. Man versprach sich davon, die sonst eher von fleischlosen Gerichten dominierte Speisefolge mit einigen schweinernen Leckereien aufzubessern.
Zu einigermaßen günstigen Konditionen. So wurde bei einem Bauern aus dem Dorf ein schlachtreifes Borstentier geordert und – meist an einem Samstag – in aller Herrgottsfrühe angeliefert. Dazu erschien der Dorfmetzger und Spezialist für Hausschlachtungen, Georg Hotzelt, genannt Melmerschorsch, um seinem blutigen Handwerk nachzugehen.
Kariertes Hemd mit Krawatte
Außer, dass er Schweine schlachten konnte, war der Melmerschorsch auch noch dafür bekannt, dass er sonntags in der Kirche karierte Hemden und Krawatten trug – damals eine schwerwiegende Geschmacksverirrung. Zum Gottesdienst hatte man im weißen Hemd zu erscheinen.
Doch zurück zur Sau. Am Schlachttag wurde beizeiten der große Kessel, der sonst zum Wäsche waschen und zum Erhitzen des Badewassers diente, angeheizt. Uns Kindern wurde dann stets angeboten ,des Schwänzla zu halten', was wir aber mit mildem Grausen ablehnten.
Rote Spuren im Schnee
Draußen vor der Waschküche hatte inzwischen die arme Sau ihr Leben ausgehaucht und musste ausbluten. Der rote Lebenssaft wurde sorgfältig aufgefangen, war es doch eine wichtige Zutat für roten Preßsack und Rotwurst. Die roten Spuren im Schnee zeugten oft noch tagelang von der Blutorgie. Obligatorisch war auch der Besuch des Fleischbeschauers, der über Gesundheit des Schlachtviehs und Hygiene wachte.
Als nächstes wurde das Schwein im Trog gebrüht, abgeschabt und zum Ausnehmen und Zerlegen am Birnbaum neben dem Haus aufgehängt. Spindfleisch, Rot- und Leberwürste wurden nach der Herstellung im Kessel gekocht, ebenso Preßsack rot und weiß. Die Würze selbiger galt als großes Geheimnis des Melmerschorsch.
Und alsbald stellten sich, natürlich rein zufällig, die Stammtischfreunde meines Vaters ein und auch der eine oder andere Nachbar, begierig, ein Stück vom frisch Geschlachteten oder zumindest eine Wurstsuppe zu ergattern. Natürlich wurde dies niemanden verwehrt. Eher wurde noch Wurstsuppe in der Nachbarschaft verteilt. Diverse Fleischstücke, Schnitzel, Kammfleisch und Anderes, alles was nicht sofort verwertet wurde, wanderten in die Gefriertruhe beim benachbarten Bauern, da wir solch modernes Gerät zu diesen Zeiten nicht unser Eigen nannten.

Hier wurden auch die leckeren Schinken („schwadds Flaasch“) in die Räucherung gegeben. Ein Teil des – meist sehr fetten – Fleisches wurde gekuttert und Mettwurst produziert, die wir Kinder dann wochenlang auf dem Schulbrot wiederfanden.
Inzwischen war meine Mutter in der Küche nicht untätig und hatte einen feinen Kuchen gebacken und Kaffee gekocht. Wenn nämlich der Melmerschorsch sein Werk beendet hatte, wollte er – wer kann es ihm verdenken – auf keinen Fall etwas vom Schwein, sondern freute sich immer auf etwas Süßes und einen schönen Kaffee. Dies soll übrigens bei allen Metzgern bis heute der Fall sein.
Penetranter Geruch des Schlachtfests
Ich habe immer noch den penetranten Geruch des Schlachtfestes in der Nase, wenn ich daran zurückdenke. Dieser hatte sich über Wochen im Haus und Waschküche festgesetzt und selbst das Badewasser duftete noch eine Zeitlang nach Wurstsuppe anstatt nach Fichtennadeln.“ Soweit die Erzählungen von Heinz Fischer.
Mit dem Aufkommen der Supermärkte mit ihren meist recht günstigen Fleischangeboten verlor die Hausschlachtung ihren Sinn und verschwand aus den Dörfern. Heutzutage wird dieser Brauch noch von einigen Vereinen gepflegt, so findet alljährlich beim Geflügelzuchtverein Marktzeuln ein Schlachtfest statt. Hier wird aber auch seit Jahren nicht mehr selbst geschlachtet, sondern Schweinehälften aus dem Schlachthof verarbeitet. In der Wurstküche bei den Geflügelzüchtern führt Wolfgang „Gomez“ Hotzelt das Regiment, ein entfernter Verwandter vom Melmerschorsch, gleichwohl mit denselben Berufsgenen.
Von Heinz Fischer