„Wir machen den Ländern in Afrika und Asien Vorschriften? Wie sie ihre Umwelt zu behandeln haben. Das kann doch nicht unser Ernst sein?!“, sagte/fragte Hermann Hacker seine Gäste. Am Freitagabend waren nur wenige Sitzplätze in der Alten Darre frei geblieben. Hermann Hacker, Vorsitzender der Kulturinitiative (KIS), hatte sich bewusst ein aktuelles und polarisierendes Thema herausgesucht. „Arten- und Insektensterben im Landkreis Lichtenfels“ – eine „Analyse“.
Bedrückende Stille angesichts wahnsinniger Zahlen
Fast bedrückend still war es im Zuschauerraum, als Hacker mehrere Zahlen verlas und Grafiken zeigte, die allesamt aus unabhängigen und namhaften Quellen stammen. Die Menge an Stickstoff habe sich in den vergangenen hundert Jahren verdoppelt, schreibt etwa die Max-Planck-Gesellschaft. Das meiste, nämlich rund 550.000 Tonnen, stamme aus der Landwirtschaft und sei als Ammoniak in der ausgebrachten Gülle gebunden. Die Industrie und der Verkehr blasen laut Grafik je rund 170.000 Tonnen Stickstoff als Stickstoffoxide in die Luft. Das sei Wahnsinn, betonte der Referent.
Der lokale Bezug zum Landkreis folgte im Handumdrehen: Auf einer Ackervergleichsfläche in Unterzettlitz habe man Untersuchungen und vor allem Zählungen gemacht. Das Ergebnis sei ernüchternd gewesen: Es habe zwar eine hohe Zahl an Flugaktivität von sogenannten Überfliegern gegeben (einzelne Falter auf der Durchreise), es sei aber kein einziger Tagfalter dabei gewesen.
Eines der besten erforschten Gebiete in Mitteleuropa

An Getreide, Mais, Wurzeln und Wurzelstöcken hätten sich Raupen befunden. Und die häufigste Falterart sei der Eichenprozessionsspinner gewesen. Immer mehr würde man als Pflanzen die Stickstoffanzeiger Brennnessel, Löwenzahn und Kletten-Labkraut finden, berichtete Hacker. Verschwinden würden nach und nach die Wiesenblumen und Kräuter, die keinen Stickstoff mögen, wie etwa der Wiesen-Thymian und der Wiesen-Augentrost.
Der Landkreis Lichtenfels umfasse drei Groß-Naturräume, erklärte der Insektenforscher: Nördliche Frankenalb, Obermainisches Hügelland und Itz- Baunach-Hügelland. Und sei, was Insekten und Schmetterlinge betrifft, eines der am besten erforschten Gebiete in Mitteleuropa. Während der vergangenen 100 Jahre hätten hier mehrere Forscher zusammen 360.000 Einzeldaten gesammelt, die eine hohe und abgesicherte Aussage zulassen.
Hacker nannte die Großschmetterlinge als Beispiel: 916 Arten seien seit 1920 nachweislich festgestellt worden. Unverändert im Bestand oder zunehmend seien dabei 61 Prozent der Arten, stark zurückgehend oder gar ausgestorben 39 Prozent. Nehme man jedoch die Zahl der tagaktiven Falter allein, so sei das Bild sehr düster: 71 Prozent seien ausgestorben oder sehr stark zurückgehend.
Ursachen nannte der Referent einige: Neben den übermäßigen Gülleeinträgen der Landwirtschaft gebe es zwei weitere Verursacher, vor allem in den Jahren ab 2000: „Die Schafbeweidung und die Landschaftspflege sind mit dafür verantwortlich, dass die Artenvielfalt so stark zurück gegangen ist. Wir haben ganze sieben Naturschutzgebiete im Landkreis mit einer Gesamtfläche von 150 Hektar. Bei einer Landkreisgröße von 520 Quadratkilometern sind das lächerliche 0,29 Prozent!“
„Die Schafbeweidung und
die Landschaftspflege sind
mit dafür verantwortlich,
dass die Artenvielfalt so
stark zurückgegangen ist.“
„Wir pflegen unsere Natur – doch die braucht keine Pflege. Aber da treffen sich Welten“, so Hacker. „Leute, bis zum Jahr 2030 sollen mindestens 30 Prozent der Landschaft und der Meere zu Schutzgebieten werden – wir haben noch nicht mal ein Prozent!“ Seine persönlicher Lösungsansatz ist einfach: „ankaufen – verwildern lassen“. Natürlich müsse man Flächen für die Lebensmittelproduktion übrig lassen – aber wozu Felskronen freilegen? Nur damit es „ordentlich“ aussehe? Hackers Schlusswort „Klimawandel und Artensterben – wenn wir da nicht aufpassen, fahren wir voll gegen die Wand!“ leitete eine rege Diskussion ein.
Anton Reinhardt zeigte sich ob der Zahlen entsetzt. Bernhard Christoph befürchtet eine Zunahme von Verbu-schung und Verwaldung.
Sieben Natzurschutzgebiete
Naturraum Gaabsweiher (etwa zehn Hektar), Mainaue bei Oberau (28), Staffelberg (43), Kitschental-Rangen (42), um Wallersberg (9), um Kleinziegenfeld (17) und um Theisau (etwa zwei Hektar).
Hermann Hacker ist als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Entomologen“ (ABE) Mitinitiator des Projekts „Tagfalter in Bayern“, das vom Bayerischen Landesamt für Umweltschutz (LFU) herausgegeben wurde, und er vertritt Bayern bei der „Roten Liste der Nachtfalter Deutschlands“, das vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) herausgeben wird.
Von Monika Schütz