Es war der 6. April 1974 im beschaulichen Seeort Brighton in England. Eine bis dahin unbekannte Band holte sich den Sieg beim Grand Prix Eurovision de la Chanson, wie der ESC damals hieß. Sie konnte sich gegen 15 Konkurrenten durchsetzen.
Für Agneta, Björn, Benny und Anni-Frid, kurz „ABBA“, war es der Beginn einer beispiellosen Karriere mit Millionen von verkauften Tonträgern und unzähligen Hits. Bis man 1982 eine „Pause“ verkündete. Erst 2021 erschien ein neues Album, und mit „Voyage“ wurde in London eine Show eröffnet, in der Avatare im Stil der Band aus dem Jahr 1979 die Band verkörpern.
Nie zurück auf die Bühne
Einen gemeinsamen Live-Auftritt lehnt die Band bis heute ab, auch einen Auftritt 1985 beim Live-Aid Konzert. Auch eine Gage von einer Milliarde US-Dollar, so eine Meldung einer schwedischen Zeitung, die sie für 100 Live-Konzerte von einem amerikanischen Konsortium erhalten sollten, konnte „ABBA“ nicht zu einer Rückkehr auf die Bühne bewegen.

Doch die Musik von „ABBA“ ist zeitlos. Das war im Kurpark deutlich zu sehen, zu hören und zu spüren. „Waterloo – A Tribute to ABBA“, so der Name der Band und der Show, riss vom ersten Moment an die Zuschauer von den Sitzen. In Kostümen, die den weltbekannten Outfits der Erfolgsjahre von „ABBA“ originalgetreu nachempfunden waren, stürmten die Bandmitglieder die Bühne. Die beiden Sängerinnen ließen von Anfang an keinen Zweifel daran aufkommen, was sie wollten: Party!
Tanzen und träumen
Immer wieder wurden die Zuschauerinnen und Zuschauer zum Mitsingen aufgefordert, zum Tanzen und einfach zum Feiern. Und so verwandelte sich das Halbrund um die Seebühne zu einer einzigen großen Tanzfläche. „Mamma Mia“, „Honey Honey“, „Voulez Vous“ und „Dancing Queen“ gingen in die Beine, auch auf den Wällen wurde getanzt.
Auch die Balladen durften nicht fehlen. „Chiquitita“ und „Fernando“ forderten zu Träumen auf, in der einsetzenden Dämmerung flammten die Handy-Taschenlampen auf, es wurde mitgesungen.
Mehrmals zogen sich die Künstler um, einmal überbrückte ein fantastischer Stefan Preußner am Schlagzeug die kurze Pause, trommelte sich bei den schweißtreibenden Temperaturen die Seele aus dem Leib und riss sich unter großen Mühen das Polyester-Hemd vom Körper.
Bei „Gimme! Gimme! Gimme! (A man after Midnight)“ verwandelte sich das Publikum in einen großen Chor, sehr zur Freude der Band. „Benny“ führte das Publikum mehrmals aufs Glatteis. „Jetzt brauchen wir mal eure Hilfe. Hebt alle die Arme hoch. Und nun schaut mal nach rechts und links, die schwitzen genau so wie ihr“, flachste er angesichts der auch nach Sonnenuntergang noch immer hohen Temperaturen.
Auch das Wissen der Zuschauer testete er. „Was war denn eigentlich das allererste Lied von ,ABBA‘?“, wollte er wissen. Nein, es ist nicht „Waterloo“. Er gab dann einen Tipp: „Kennt ihr das noch? Disco mit Ilja Richter? Licht aus – Spot an?“ Das war wohlbekannt, nur das Lied dazu kannten die wenigsten. „People need love“ aus dem Jahr 1972, also zwei Jahre vor dem Durchbruch, war gefragt.
Kurze Tonausfälle
Dass einer der Background-Sänger den Gesangspart von „Benny“ übernahm, kann man vielleicht als kleinen Makel empfinden, doch seine Stimme und seine Ausdruckskraft ließen einen das sofort wieder vergessen. Auch die kurzen Tonausfälle in der ersten Hälfte der Show, die „Benny“ immer zusammenzucken und ihn einen bangen Blick auf die Lautsprechertürme werfen ließen, störten nicht, waren sie doch nach der Pause, in der die Crew in Windeseile diverse Kabel tauschte, Geschichte. Der Sound kam klar aus den Boxen, der Gesang deutlich, die Instrumente sauber ausgesteuert. Ein akustischer Hochgenuss.

Schnell vergingen zweieinhalb Stunden. Doch das Publikum ließ die Band einfach nicht von der Bühne. Sie gingen auch gar nicht erst nach hinten, sondern blieben einfach da, wo sie waren, und spielten diverse Zugaben. „The Winner takes it all“ aus dem Jahr 1980 folgte, doch noch immer war man im Publikum der Band nicht überdrüssig.
„Thank you for the music“
Und so spielte man noch ein Lied, das irgendwie auch das Ende einer der großartigsten Pop-Bands der Welt verkörpert. Das Publikum war dankbar, sang kräftig mit. „Thank you for the music“ schallte es aus den Lautsprechern und den annähernd 1000 Kehlen der Gäste. Ein gegenseitiger Dank für einen rundum gelungenen Abend und ein Dank an „ABBA“ für all die wunderbaren Hits.
Übrigens: 1974 wurde Deutschland bei Grand Prix Eurovision de la Chanson mit dem Lied „Die Sommermelodie“ mit Cindy und Bert gemeinsam mit der Schweiz und Portugal – Letzter.
Von Werner Diefenthal