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WEISMAIN

Dagmar Dietz nimmt Menschen mit – Sie auch?

Dagmar Dietz nimmt Menschen mit – Sie auch?
Mit Bilderbüchern aus der Kindheit ihrer Enkel begann Dagmar Dietz ihren ehrenamtlichen Deutsch-Unterricht für Geflüchtete. Foto: Corinna Tübel

Still und bedächtig ist sie oft, die Zeit zwischen den Jahren. Im Haus von Dagmar Dietz dagegen herrscht Geburtstagsstimmung. Viele Verwandte, Bekannte, Freunde und andere Gäste finden den Weg in den Hof des Anwesens mit den blauen Fensterläden, mitten in der Stadt Weismain. Sie gratulieren der heute 80-Jährigen voller Respekt und Anerkennung – und so hat diese Zeit doch etwas Ehrfürchtiges, nämlich gelebte Nächstenliebe.

Ein „chicken“ auf dem Kirchturm?

Für Dagmar Dietz ist die Unterstützung anderer selbstverständlich. So betreut sie etwa seit vielen Jahren im Auftrag der Aktiven Bürger in Weismain Asylbewerber und gibt Sprachkurse. 2012 waren es während der ersten Flüchtlingswelle Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea, heute sind viele Ukrainer unter ihnen.

Dagmar Dietz nimmt Menschen mit – Sie auch?
Dagmar Dietz hat viel erlebt. Gerne engagiert sie sich bei den historischen Stadtführungen.

Selbst Flüchtlingskind aus der Tschechoslowakei, wie sie erzählt, weiß sie, wie es ist, sich in einer zunächst fremden Umgebung einleben zu müssen. Die 80-Jährige hilft dabei – ganz locker und ohne Berührungsängste. Mit einem Lächeln und der ausgestreckten Hand geht sie auf die Menschen zu, mit Bilderbüchern aus der Kindheit ihrer Enkel vermittelt sie erste deutsche Vokabeln, mit Spaziergängen durch die Stadt lehrt sie unterschiedliche Begrüßungen „über den Gartenzaun und im Amt“, saht sie lachende.

Neben vielen traurigen Schicksalen erlebt sie dabei auch immer wieder lustige Momente: „Mich hat zum Beispiel mal eine junge Frau gefragt, warum denn da ein chicken auf dem Kirchturm sitzt. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht.“ Auf der anderen Seite ist es tiefer Respekt, der ihre Beziehung zu unzähligen Geflüchteten prägt. „Auch den Frauen gegenüber, die, ähnlich wie viele Frauen nach dem Krieg, so stark sind, alles organisieren und oft alleine für ihre Kinder sorgen.“

Diese Beziehungen bereicherten ihr Leben, ebenso wie diejenigen zu vielen Mitstreitern und Freunden. Sie traf sie in den Einheiten als Übungsleiterin und 2. Vorsitzende im Turnverein Weismain oder als Bezirksgruppenleiterin für Burgkunstadt/Weismain beim fränkischen Geschichtsverein CHW. „Ich bin sehr an Geschichte interessiert“, verrät sie.

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Dagmar Dietz als Helena Neydeker mit ihrem Mann Georg als Kutscher.

Bildung, Geschichte und Kultur

Ihre Mutter hatte den Kindern eine möglichst breite Bildung ermöglicht. Seit ihren Internatsjahren etwa habe sie der Kontakt zu Kultur und Musik bis heute geprägt. Nicht verwunderlich ist daher ihr Amt als Kassier und ehrenamtliche Kraft im Museums- und Kulturverein Weismain mit historisch gekleideten Stadtführungen. Hierfür näht Dagmar Dietz die jeweiligen Kostüme selbst, ist also neben ihrem Kommunikations- und Organisationstalent auch handwerklich begabt. Auch in der Museumsaufsicht und in der städtisch-kirchlichen Leihbücherei arbeitet sie mit.

„Ich bin so. Ich kann aus dem Stand mit den unterschiedlichsten Leuten reden und mag das!“
Dagmar Dietz

So ist sie scheinbar stets von Menschen umgeben. „Ich bin so. Ich kann aus dem Stand mit den unterschiedlichsten Leuten reden und mag das“, erzählt sie mit Blick auf Kinder, Erwachsene und Senioren, Einheimische und Zugezogene. Schon als junges Mädchen habe sie früh anderen Menschen ihre Hilfe angeboten, einfach aus Spaß an der Bewegung.

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Dagmar Dietz schlüpft in die Rolle der Schwester Erme?lin?de, die im Kloster Altenkunstadt den Kinderhort und die Schule bis 1938 leitete. Foto: Corinna Tübel

Unterstützung anderer Art leistete sie später als Fachkraft in der Sparkasse, während ihr Mann als Schmied tätig war. In der Schmiede zeugt ein kleines, selbst eingerichtetes Museum von dieser Zeit. Noch heute laden Dagmar und Georg Dietz Schulklassen oder Wohngemeinschaften für Menschen mit Behinderung ein, in diese Zeit einzutauchen, denn: Die Schmiede funktioniert noch.

Gelebte Gemeinschaft sorgt für Lebendigkeit und Freude

Doch auch sonst ist im Hause Dietz viel los: Zwei weitere Wohnungen in dem großen Anwesen sind vermietet, unter anderem an eine junge Familie aus Polen. Einer ihrer Söhne samt Frau wohnt „über den Hof drüber“, die anderen Enkel und Urenkelkinder sind ebenfalls oft zu Besuch. Neben vielen Gesprächen und gemeinsamen Festen im Hof hilft man sich hier gegenseitig. Vor kurzem fand etwa eine große Holzaktion aller Bewohner statt, die in einem geselligen Helferessen endete. „Das ist herrlich, ich genieße das!“ „Das“ meint viel mehr, meint die Gemeinschaft im Leben der 80-Jährigen. Sie erlebt Lebendigkeit, Wertschätzung und Freude. Manchmal trifft sie Menschen, die sie vor vielen Jahren unterstützt hat, und die heute mit beiden Beinen im Leben stehen.

Das freut sie natürlich. Genau das soll auch anderen Menschen Antrieb sein: „Helfen ist so leicht, wenn man offen ist und es wirklich möchte.“

Für ein Ehrenamt gibt es viele Tätigkeitsbereiche. „Man kann nichts falsch machen. Ausprobieren und ehrlich sein.“

Auch hier blitzt eine Erinnerung auf: Nach vielen Jahren habe sie einen ehemaligen Schüler aus einem Deutschkurs wiedergetroffen. „Ein tief dunkles Gegenüber.“

Sie hat es ihm vor kurzem selbst erzählt, dass sie ihn für einen Häuptlingssohn aus Sierra Leone gehalten hat. Er habe gelächelt – denn er hat heute alle Wörter verstanden, dank Dagmar Dietz und all den anderen Ehrenamtlichen.

Solange sie fit ist, möchte sie „weitermachen wie bisher“, erzählt sie. Ihre Familie, ihr „Clan“, gibt ihr Kraft. Zugleich entwickelt sie sich immer noch weiter.

Sie geht nicht nur selbstverständlich mit dem Tablet um, schickt Mails, Fotos und Videos weiter. Sie erlebe auch jeden Tag neu, „dass alle Menschen gut sind.“

„ Ich habe keine einzige schlechte Erfahrung in meiner ehrenamtlichen Arbeit gemacht.“
Dagmar Dietz

Und auch, wenn ihre vielen Dienste für sie zur „Freizeit“ zählen, braucht auch Dagmar Dietz Momente der Ruhe. Diese findet sie bei einem guten Buch auf dem Sofa oder in der nächsten Reiseplanung. Die 80-jährige war beispielsweise schon in Saudi-Arabien, Indien oder am Nordkap. „Ich will was sehen von der Welt.“

Dagmar Dietz nimmt Menschen mit – Sie auch?
Vorbereitungen für das Prügeler Kellerkabarett, Dagmar Dietz ist dabei (2. v. li.) Foto: Corinna Tübel

Auch hier spürt man eine unbändige Lebenslust und Dankbarkeit in ihr: „Seitdem wir in meiner Kindheit vertrieben worden sind, hat Gott ein Auge auf mich.“ Auge und Auftrag, den sie bestmöglich erfüllt. Sie auch?

Erste Anlaufstellen für Ehrenämter sind etwa die Aktiven Bürger Lichtenfels: Informationen unter www.aktive-buerger-lichtenfels.de oder Tel. (09571) 1699-330.

 

Von Corinna Tübel

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